Der Ritenstreit zu Weilheim

Martin Mosebach: Der Ritenstreit zu Weilheim

von Alexander Kissler

Eine katholische Provokation

Weilheim liegt im Pfaffenwinkel. Der Starnberger See rauscht unweit sacht vor sich hin, der Große Ostersee lockt und auch der Ammersee. Auf jede Hebung folgt eine Senke, und von jeder Wiese aus sieht der Gast einen Zwiebelturm, einen Glockenturm, einen Kirchturm. Nach Gras riecht es und Erde und manchmal auch ein wenig nach Streit. An diesem Abend steht im oberbayerischen Weilheim nichts Geringeres zur Diskussion als „Kirche zwischen Tradition und Zukunft“.

Geladen wurde unter dieser Überschrift und zum Abschluss der erstmals ausgerufenen „Weilheimer Glaubensfragen“ der Schriftsteller Martin Mosebach. Ob ihn der weite Weg aus Frankfurt am Main schließlich reute? Die zwei Stunden im „Haus der Begegnung“ wurden vor etwa 150 Besuchern zur erhellenden, nicht erheiternden Blaupause einer Zukunft, die Gegenwart zu werden sich anschickt und die der Leidenschaft, dem Streit, der rückhaltlosen Offenheit wieder Heimrecht gibt im kirchlichen Binnenraum. Die Zeit der Formelkompromisse und der Double-Bind-Kommunikationssurrogate ist vorbei.

Martin Mosebach trug zu Beginn das erste Kapitel aus seiner „Häresie der Formlosigkeit“ vor. Es ist die Geschichte eines Menschen, der vom notgedrungen kulinarischen Konsumenten gregorianischer Choräle zum mitfeiernden Apologeten der gregorianischen Messe wurde. Es ist die Geschichte einer Befreiung, die sich 2007 zum Panorama einer weltkirchlichen Renaissance weitete, als Benedikt XVI. die Gleichrangigkeit von alter gregorianischer und neuer reformierter Messe mit gesetzgeberischer Autorität bekräftigte.

Schon die Lesung war für einige Besucher schwer zu ertragen. Man grummelte immer dann, wenn Mosebach den gewordenen Charakter der älteren Messform, deren Anfänge „sich im Dunkel der Geschichte verlieren“, dem gemachten Charakter des Reformwerks von 1970 gegenüberstellte. In der Diskussion schieden sich vollends die Geister. Grüppchen um Grüppchen verließ mal leise und mal türenschlagend den Saal, sodass am Ende vielleicht noch 100 bis 120 Menschen anwesend waren. Unter diesen konnten, dem Applaus nach zu schließen, die Freunde der lateinischen Messe einen knappen Sieg davon tragen.

Kristallklar, nicht konziliant argumentierte Mosebach. Aufgebracht widersprachen ihm viele Männer und drei Frauen, in der Regel „Kinder von ’68 wie wir alle“ (Mosebach). Der Mann mit der ersten Wortmeldung erregte sich derart, dass er nach seinem anklagenden Stakkato flugs den Raum verlassen wollte und von Mosebach ermahnt wurde, doch bitte wenigstens die Antwort abzuwarten. Im Stakkato eingewickelt war eine Rede, wonach die gemeinschaftliche betende Zusammenkunft das entscheidend Christliche am Gottesdienst sei und nicht dessen Form. Das aber, beschied der Dichter den Diskutanten, sei ein Zerrbild des 19. Jahrhunderts. Im Kult, nicht in der Gemeinschaft werde Christus gegenwärtig.

Mal um Mal entschiedener bekräftigte und ergänzte und verschärfte Mosebach: Die Messe sei keine Vergegenwärtigung des Abendmahls, sondern „Phase“, Vorübergang Gottes. Die erste Messe überhaupt habe nicht im Abendmahlssaal, sondern auf Golgatha stattgefunden. Die Christen kennen ihren Glauben, bräuchten ihn nicht in der Messe erst zu erfahren, weshalb die wortlastige Didaxe dort fehl am Platze sei. Keine differenzierteren Aussagen über Gott ließen sich finden als in den Texten der Alten und nur der Alten Messe. Die verheerenden Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil hätten mit ihrem Glaubenskollaps über dieses ein denkbar schlechtes Urteil gesprochen – obwohl es an den Texten kein Jota zu beanstanden gäbe. Vielmehr hätten die deutschen Bischöfe im offenen Widerstand gegen das Konzil Handkommunion und Zelebration versus populum erzwungen. Papst Paul VI., der sein Placet gab zur nachkonziliaren Liturgiereform, müsse man leider einen Tyrannen nennen in jenem spezifisch griechischen Sinne, wonach der Tyrann ein Traditionsunterbrecher sei.

Martin Mosebach ist der Prototyp eines engagierten Laien, der durch seinen gelehrten Furor die sonstige Blässe dieses wohlfeilen Etiketts offenlegt. Gemeinhin ist der engagierte Laie ein halbgebildeter Institutionenkritiker, dessen Engagement den Herrschaftsbereich des Politischen in die Kirche hinein ausdehnen und also vollenden will. Der engagierte Laie will in der Regel mehr vom Selben, die Welt noch einmal. Das Gegenteil will Martin Mosebach: Konzentration statt Diffusion, Sakrament statt Politik, Hierarchie statt Pluralismus.

Verdutzt erklärte eine Dame schließlich, sie frage sich schon sehr, ob es denn zum Anlass des Abends nicht mehr zu sagen gebe als diese oder jene liturgische Betrachtung, ob er denn kein anderes Thema habe. Martin Mosebach replizierte knapp: „Nein, es gibt für mich zunächst einmal kein anderes Thema als die Messe.“ Denn alles, ließe sich sagen, buchstäblich alles in Welt und Nachwelt entscheidet sich daran, ob im Kultus noch ein letztes Mal der christliche Glaube ins Lot kommt.

Quelle
Mosebach

 

Die Kirche ist selbst ein Missbrauchsopfer

Aus einem Interview des Magazins der Süddeutschen Zeitung (19/10) mit Martin Mosebach.

„SZ-Magazin: Herr Mosebach, ist Ihr Vergnügen, katholisch zu sein, im Moment geringer als sonst?
Martin Mosebach: Zweifellos, aber zugleich hat sich für mich in den letzten Wochen wunderbar bestätigt, dass es keine Alternative zur Kirche gibt … Das Leiden eines Christen dürfte doch zunächst darin bestehen, dass er selbst ein schlechter Christ ist. Vor dieser Frage tritt das Versagen der kirchlichen Institution sehr weit zurück.

SZ: Für die Opfer aber nicht. Leiden Sie auch mit ihnen?
MM: Was für eine Frage! Jeder fühlende Mensch empfindet Mitleid, wenn ihnen das Opfer eines Verbrechens begegnet.

SZ: Trotzdem hat die Institution Kirche Missbrauch ermöglicht und vertuscht.
MM: Selbstverständlich hat die Kirche keinen Missbrauch ermöglicht. Einzelne Priester haben ihr Gelübde gebrochen und die Kirche verraten. Die Kirche ist selbst ein Missbrauchsopfer.

SZ: Was ist mit dem Canisius-Kolleg und dem Kloster Ettal?
MM: Sie sprechen das Verschweigen und Vertuschen der Verbrechen an. Nach dem 2.Vatikan. Konzil hat die Kirche von sich selbst ein Bild geschaffen, das nicht auf Sünde und Schuld, sondern auf Vergebung, Nachsicht und Barmherzigkeit beruht. Es ist tragisch, dass dadurch eine Grundstimmung erzeugt wurde, in der solche Straffälle nicht ernst genug genommen wurden.

SZ: Der Jesuitenpater und Rektor des Canisius-Kollegs Klaus Mertes hat von einem „katholischen Geschmack des Missbrauchs“ gesprochen.
MM: Das ist ein übles Wort. Das Christentum hat doch den Schutz der Kinder erst in die Welt gebracht, gegen die heidnische Praxis, auch gegen alle übrigen Kulturen der Welt. Jesus spricht davon, dass jedes Kind einen Engel hat, der Gott ansieht. Und jeder, der sich an einem Kind vergreift, sollte einen Mühlstein um den Hals gehängt bekommen und ersäuft werden. Deshalb sind die Missbrauchsfälle für die Kirche ja so eine Katastrophe, ausgerechnet ein Kernanliegen wurde missachtet.

SZ: Trotzdem hat sich die Kirche bis jetzt weit mehr mit den Tätern als mit den Opfern beschäftigt.
MM: Weil die Opfer, geistlich gesprochen, in viel geringerer Gefahr sind. Es sind die Täter, die in Gefahr sind, das Leben ihrer Seele zu verlieren. Jesus hat gesagt, er sei als Arzt zu den Kranken gekommen, nicht zu den Gesunden.

SZ: Für die Opfer muss diese Logik zynisch klingen.
MM: Nicht, wenn sie die Logik Jesu verstanden haben… Friedrich Schlegel schreibt schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass der Islam eine umsetzbare und erfüllbare Religion sei, während das Christentum unerfüllbar sei und sich sogar häufig genug im schreienden Gegensatz zu den Intentionen seines Gründers befinde. Genau darin aber liege die Stärke des Christentums.

SZ: Ist es nicht bigott, seine Legitimation aus einem notwendigen Scheitern zu ziehen?
MM: Nein, die Überforderung aus Prinzip verhindert die Banalisierung des Christentums. Was erfüllbar ist, ist banal. Der menschliche Geist erlahmt, wenn er sich nicht unerfüllbare Ziele setzt.

SZ: Auch der Zölibat scheint viele Geistliche zu überfordern.
MM: Vor dem zweiten Vaticanum hatten Priester ein Korsett, einen Halt, und zwar einen geistlichen und einen physischen, der den Priester jeden Tag daran erinnert hat, dass er ein homo excitatus a deo ist ein Mensch, der von Gott herausgerufen ist. Er trug die Sutane mit den 33 Knöpfchen oder den schwarzen Anzug mit dem hohen steifen Kragen. Er las jeden Tag die Messe und betete jeden Tag das große Brevier. Er war nie Privatmann, sondern fest eingebunden in Befehl und Gehorsam, was in der modernen Kirche weitgehend weggefallen ist. Heute machen Priester Urlaub, haben einen liturgiefreien Tag und ein modernes Apartment mit CD-Player und Flachbildschirm.

SZ: Gönnen Sie ihnen das nicht?
MM: Doch, sollen sie alles haben, nur macht diese Freiheit es ihnen viel schwerer, den Anforderungen ihres Amtes zu entsprechen. Der Priester verkörpert Jesus Christus. Wie soll das glaubwürdig gelingen, wenn er spurlos in der Zivilgesellschaft aufgeht?“
Quelle: Süddeutschen Zeitung (19/10)