(Fortsetzung: Der große Abfall – zurück – weiter)
Etwa fünfzig Jahre alt, war der neue Papst von mittlerem Wuchs und kräftigem Körperbau. Er hatte ein rötliches Gesicht, aus dem unter buschigen Augenbrauen eine gebogene Nase vorsprang. Sein impulsives Wesen ließ ihn mit Feuer sprechen, wobei er seine Worte mit weit ausholenden Gesten unterstrich. Seine Rede riß die Zuhörer mehr hin, als daß er sie überzeugte.
Den Weltherrscher betrachtete der neue Papst mißtrauisch, ja ablehnend, seit sein verstorbener Vorgänger auf der Reise zum Konzil dem Drängen des Imperators nachgegeben und den kaiserlichen Kanzler und Magier zum Kardinal ernannt hatte, jenen exotischen Bischof Apollonius, den Petrus für einen zweifelhaften Katholiken, aber für einen unzweifelhaften Gaukler hielt.
Der tatsächliche, wenn auch nicht offizielle Sprecher der Orthodoxie war der Mönch Johannes; er wurde vom einfachen Volke Rußlands allgemein verehrt. Obgleich er sich offiziell als Bischof zur Ruhe gesetzt hatte, lebte er nicht einsam im Kloster, sondern wanderte im Lande umher. Zahlreiche Legenden waren über ihn im Umlauf. Einige behaupteten, in ihm sei Fjodor Kusmitsch, nämlich der Zar Alexander I., der vor etwa dreihundert Jahren geboren war, auferstanden.
Andere gingen noch weiter und erklärten, er sei der Apostel und Evangelist Johannes, der in Wahrheit niemals gestorben sei und in der letzten Zeit sich offen zeige. Indessen sprach Vater Johannes selbst niemals über seine Herkunft und seine Jugend.
Jetzt war Johannes ein hochbetagter, aber noch rüstiger Greis, und das Weiß seiner Locken und seines wallenden Bartes hatte bereits einen gelblichen, ins Grünliche übergehenden Schimmer. Er war hoch gewachsen und hager, hatte aber volle, rosig angehauchte Wangen und einen lebhaften, glänzenden Blick. Auf seinem Antlitz zeigte sich rührende Güte, die auch seine Reden charakterisierte. Stets trug er eine weiße Soutane und darüber einen ebensolchen Mantel.
Die protestantische Abordnung auf dem Konzil wurde von Professor Ernst Pauli angeführt, einem gelehrten deutschen Theologen. Das war ein kleiner vertrockneter Greis mit gewaltiger Stirn, spitzer Nase und einem glatt rasierten Kinn. Aus seinen Augen sprach ein heftiges, doch gutmütiges Wesen. Jeden Augenblick rieb er sich die Hände, schüttelte den Kopf und runzelte schrecklich die Augenbrauen, ließ dann die Lippen hängen und murmelte schließlich mit funkelnden Augen und dumpfer Stimme: „So! Nun! Ja! So also!“ Er war stets feierlich gekleidet: eine weiße Krawatte zu einem langen Pastorenrock, der mit Orden geschmückt war. Die Eröffnung des Konzils war eindrucksvoll.
Zwei Drittel des gewaltigen „Tempels zur Vereinigung aller Kulte“ wurden von Bänken und anderen Sitzen für die Teilnehmer des Konzils, ein Drittel von einer hohen Tribüne eingenommen. Dort standen hinter dem Thron des Imperators und dem ein wenig niedrigeren Thronsessel des großen Magiers, Kardinals und kaiserlichen Kanzlers lange Reihen von Sitzen für die Minister, Hofleute und Staatssekretäre. Zu beiden Seiten befanden sich noch längere Reihen von Sitzen, deren Bestimmung aber niemand kannte. Auf den Galerien hatten Musikorchester Platz genommen. Zwei Garderegimenter und eine Batterie waren auf dem nahen Platz zur Abgabe der Ehrensalven angetreten. Die Mitglieder des Konzils hatten ihre Gottesdienste in den verschiedenen Kirchen abgehalten, so daß die Eröffnung des Konzils einen vollkommen weltlichen Charakter trug.
Als der Imperator, an seiner Seite der große Magier und hinter ihm ein zahlreiches Gefolge, die Halle betrat, spielten die Orchester den „Marsch der Vereinigten Menschheit“, der zugleich als kaiserliche und internationale Hymne diente. Die Konzilsteilnehmer erhoben sich von ihren Sitzen und riefen, ihre Hüte schwenkend, dreimal laut: „Vivat! Hurra! Hoch!“ Der Imperator stellte sich neben seinen Thron und nach einer majestätischen Gebärde des Wohlwollens sprach er mit volltönender und angenehmer Stimme zur Versammlung:
„Christen aller Bekenntnisse! Meine geliebten Untertanen und Brüder!
Seit Beginn meiner Regierung, die der Höchste mit so wunderbaren und ruhmvollen Werken gesegnet hat, habe ich noch keinen Anlaß gefunden, mit Euch unzufrieden zu sein. Immer habt Ihr Eure Pflicht erfüllt, so wie es Euch Glaube und Gewissen geboten. Aber das ist mir nicht genug. Die innige Liebe zu Euch, meine teuren Brüder, dürstet darnach, erwidert zu werden. Ich wünsche von Herzen, daß Ihr mich nicht aus Pflichtgefühl, vielmehr aus aufrichtiger Liebe anerkennt als Euren Führer in allem, was zum Heile der Menschheit erforderlich ist. Daher möchte ich außer den Wohltaten, die ich allen angedeihen lasse, Euch noch eine besondere Gnade erweisen.
Christen, womit könnte ich Euch beglücken? Was soll ich Euch gewähren, nicht als meinen Untertanen, sondern als meinen Brüdern und Glaubensgenossen? Christen! Sagt mir, was Ihr am Christentum am meisten liebt, damit ich meine Bemühungen darauf richte!“
Der Imperator hielt inne und wartete, während sich im Tempel ein dumpfes Murmeln erhob. Die Mitglieder des Konzils sprachen leise miteinander. Papst Petrus gestikulierte heftig und erklärte irgend etwas seiner Umgebung. Professor Pauli schüttelte das Haupt und verzog zornig die Lippen, Vater Johannes wandte sich einem orthodoxen Bischof und einem Kapuziner zu und sprach leise auf sie ein.
Der Imperator hatte ein wenig gewartet. Nun wandte er sich von neuem an das Konzil, doch klang nun in dem freundlichen Ton eine leichte, kaum erkennbare Ironie mit.
„Liebe Christen“, sprach er, „ich verstehe wohl, daß es Euch nicht leicht fällt, mir ohne weiteres zu antworten. Ich will Euch dabei helfen. Zu Eurem Unglück seid Ihr seit undenklichen Zeiten in verschiedene Bekenntnisse und Parteien gespalten. Daher gibt es vielleicht unter Euch nichts, was Ihr gemeinsam am meisten schätzt. Wenn Ihr aber untereinander selbst nicht einig werden könnt, dann hoffe ich, alle Eure Parteien zu einigen dadurch, daß ich allen die gleiche Liebe erweise und die gleiche Bereitschaft, die wahren Wünsche eines jeden zu befriedigen.
Liebe Christen! Ich weiß, daß vielen von Euch, und darunter nicht den Geringsten, die geistliche Autorität seiner gesetzmäßigen Repräsentanten im Christentum das Teuerste ist — einer Autorität, die es selbstverständlich nicht zu deren persönlichen Vorteil, sondern zum Wohle aller gewährt, da ja auf ihr die geregelte Ordnung des Geistes und die moralische Disziplin beruht, die beide niemand entbehren kann.
Liebe katholische Brüder! Oh, wie verstehe ich Eure Ansicht und wie gerne möchte ich meine Herrschaft auf die Autorität Eures geistigen Oberhauptes stützen! Damit Ihr aber nicht glaubt, dies seien Schmeicheleien oder leere Worte, erklären wir in aller Feierlichkeit: Kraft unseres unumschränkten Willens wird von nun an der oberste Bischof aller Katholiken, der römische Papst, wieder auf seinen Thron in Rom eingesetzt mit allen früheren Rechten und allen Vorrechten des päpstlichen Stuhles, Rechten, die von unseren Vorgängern bis auf Konstantin den Großen zugesichert wurden. Von Euch aber, liebe katholische Brüder, verlange ich dafür nur die Anerkennung meiner Person als Eures einzigen Verteidigers und Beschützers. Wer sich dazu nach Gefühl und Gewissen bekennen kann, möge hierher, zu mir treten.“
(Fortsetzung folgt)
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