„The whole modern world has divided itself into Conservatives and Progressives. The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of Conservatives is to prevent mistakes from being corrected. Even when the revolutionist might himself repent of his revolution, the traditionalist is already defending it as part of his tradition. Thus we have two great types–the advanced person who rushes us into ruin, and the retrospective person who admires the ruins. He admires them especially by moonlight, not to say moonshine.“
Wie wir schon sahen, lautet eines der Argumente, mit denen begründet wird, warum man für den Fortschritt eintreten soll: dass die Welt von Natur aus immer besser wird. Aber der einzig wahre Grund, ein Fortschrittsanhänger zu sein, besteht doch darin, dass die Welt von Natur aus immer schlimmer wird. Der allgemeine Verfall spricht nicht nur dafür, progressiv zu sein; er spricht auch als einziges dafür, nicht konservativ zu sein.
Gegen den Konservativismus bliebe uns kaum eine Gegenkraft oder Erwiderung, gäbe es nicht dieses eine Faktum. Alles Konservative beruht auf der Vorstellung, dass man, wenn man die Dinge sich selbst überlässt, sie so lässt, wie sie sind. Das tut man aber mitnichten. überlässt man etwas sich selbst, so überlässt man es einem rasanten Wandel. überlässt man einen weißen Pfosten sich selbst, wird er bald schwarz sein. Möchte man unbedingt, dass er weiß bleibt, so muss man ihn immer wieder streichen; das heißt, man muss beständig für eine Revolution sorgen.
Kurz, wer den alten weißen Pfosten will, muss für einen neuen weißen Pfosten sorgen. Trifft dies aber schon auf Unbelebtes zu, so in besonderem und zugespitztem Sinn auf alles Menschliche. Weil menschliche Institutionen so unglaublich schnell veralten, wird jedem Bürger eine fast unnatürliche Wachsamkeit abverlangt. In Groschenromanen und Zeitungsartikeln ist fast immer von Menschen die Rede, die unter einer alten Tyrannei leiden. In Wirklichkeit haben die Menschen aber meist unter neuen Tyranneien gelitten; unter Tyranneien, die kaum zwanzig Jahre zuvor noch bürgerliche Freiheiten waren.
England zum Beispiel bejubelte die „patriotische Monarchie Elisabeths“ -und dann fluchte es (fast unmittelbar danach) unter Karl I. in der Falle der Despotie. In Frankreich wiederum wurde die Monarchie nicht etwa untragbar, nachdem sie ertragen, sondern nachdem sie angebetet worden war. Der guillotinierte Ludwig war der Sohn des von allen geliebten Ludwig XIV. Und im England des 19. Jahrhunderts galt der radikale Fabrikant als vertrauenswürdiger Sprecher des Volkes, bis plötzlich die Sozialisten aufschrieen, er sei ein Tyrann, der sich vom Volk ernähre wie von Brot.
Als letztes sei daran erinnert, dass wir noch unlängst die Zeitungen für vertrauenswürdige Organe der öffentlichen Meinung hielten. Erst jetzt haben manche (nicht allmählich, sondern mit einem Schlag) erkannt, dass davon nicht die Rede sein kann. Die Presse ist – und das liegt in der Natur der Sache – das Hobby einiger reicher Männer.
Wir brauchen also nicht gegen das Alte zu rebellieren; wir müssen gegen das Neue rebellieren. Die neuen Herrschenden, der Kapitalist oder der Verleger, sind die Stützen der Moderne. Es besteht keine Gefahr, dass heutzutage ein König versuchen könnte, die Verfassung außer Kraft zu setzen; wahrscheinlicher ist, dass er sie ignoriert und hinter ihrem Rücken handelt; zugute kommen wird ihm dabei nicht seine königliche Macht, sondern seine königliche Machtlosigkeit, die Tatsache, dass Kritik und Öffentlichkeit ihn nicht erreichen. Denn der König ist die privateste Privatperson unserer Zeit. So erübrigt sich auch der Kampf gegen die gesetzlich geplante Pressezensur. Pressezensur brauchen wir nicht, wir haben die Zensur durch die Presse.
Dass populäre Systeme sich so erschreckend schnell in repressive verwandeln, ist also das dritte Faktum, das unsere perfekte Fortschrittstheorie berücksichtigen sollte. Stets muss sie im Blick haben, wo ein Privileg missbraucht und wo geltendes Recht zu Unrecht wird.
In dieser Frage stehe ich ganz auf Seiten der Verfechter der Revolution. Eigentlich haben sie recht mit ihrem ständigen Misstrauen gegenüber menschlichen Institutionen; sie haben Recht, weder Fürsten noch Menschen überhaupt zu vertrauen. Der politische Führer, der gewählt wurde, um ein Freund des Volkes zu sein, wird zum Feind des Volkes; die Zeitung, die gegründet wurde, um die Wahrheit auszusprechen, ist jetzt dazu da, das Aussprechen der Wahrheit zu verhindern. In diesem Punkt sah ich mich wirklich auf Seiten des Revolutionärs. Und dann hielt ich erneut den Atem an, denn mir fiel ein, dass ich auch diesmal auf Seiten des Orthodoxen stand.
Wieder sprach das Christentum und sagte:
<Immer habe ich geltend gemacht, dass die Menschen von Natur aus rückfällig sind; dass die menschliche Tugend von sich aus zu verkümmern und verrotten droht; immer habe ich gepredigt, dass die Menschen als solche sündig sind, besonders die glücklichen Menschen, besonders die stolzen und wohlhabenden Menschen. Diese ewige Revolution, diesen durch die Jahrhunderte hindurch wach gehaltenen Argwohn, nennst du (als unentschiedener Moderner) die Lehre vom Fortschritt. Wärst du ein Philosoph, würdest du es wie ich die Lehre von der Erbsünde nennen. Nenne es kosmischen Fortschritt, so viel du magst; ich bezeichne es als das, was es ist: Sündenfall>
Quelle: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt VII: Die ewige Revolution
… Als Christus in einem bedeutungsvollen Augenblick Seine große Gemeinschaft stiftete erwählte er zum Grundstein nicht den brillanten Paulus und nicht den tiefsinnigen Johannes, sondern einen Drückeberger, einen Snob, einen Feigling – kurz einen >Menschen<. Und auf diesen Fels baute Er Seine Kirche, gegen die der Hölle Macht nichts hat ausrichten können.
Alle Weltreiche und Königreiche sind an dieser eigentümlichen, wiederkehrenden Schwäche gescheitert, dass sie von starken Männern und auf den Schultern starker Männer errichtet wurden. Einzig und allein diese epochale Einrichtung, die Katholische Kirche, fand ihr Fundament in einem schwachen Mann, und deshalb ist sie unzerstörbar. Keine Kette nämlich ist stärker als ihr schwächstes Glied.
In zwei Wochen werden die Bundestagsabgeordneten im Bundestag zusammenkommen und über den künftigen Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland abstimmen.
Hedwig von Beverfoerde von der Zivilen Koalition e.V. und Thomas Schührer vom Durchblick e.V. haben auf AbgeordnetenCheck.de eine Kampagne gestartet, um ein Verbot von PID zu erreichen. Die Initiative lebt vom Mitmachen vieler Bürger, die über die Website auf einfache Weise die Abgeordneten anschreiben und sich der Petition anschließen können. „
Je mehr Menschen mitmachen, desto mehr Emails wird jeder einzelne Abgeordnete bekommen. Wenn zahlreiche Bürger sich so engagieren, macht dies auf die Bundestagsabgeordneten einen großen Eindruck, dem sie sich kaum entziehen können“, erklärt dazu Frau von Beverfoerde.
Durch die zentrale Lage der Stiftskirche in Neustadt erfreut sich die HL. Messe im außerordentlichen Ritus dort stetig einer großen Zahl von Neugierigen. Neulich fragte mich einer, der nach dem Sanctus erst hereinkam : „Sagen sie mal, betet denn der Priester die ganze Messe über still?“ – Ich klärte ihn verständnisvoll auf und ließ ihn seines Weges ziehen. Danach wurde mir klar, welche Schätze die Messe im überlieferten Ritus birgt und wie wichtig und zentral die Stille im Herzen der Liturgie ist. Dazu mehr aus der Zeitschrift „Dominus vobiscum“ (Ausgabe 2011-03):
Sacrum Silentium –
Von Kirchenbau und Kanonstille
von Lic. Theol. Martin Reinecke
Einleitung
Für die meisten Gläubigen, die nur Meßfeiern in der ordentlichen Form kennen, ist es äußerst gewöhnungsbedürftig, dass während des Hochgebets in der außerordentlichen Form der römischen Messe weitgehend Stille herrscht.
Die Allgemeine Einführung ins Römische Meßbuch von 1975 kennt zwar einen eigenen Abschnitt über „Die Stille“, von der es dort heißt: „Je nach der Stelle innerhalb der Feier ist ihr Sinn verschieden. Sie gibt Gelegenheit zur Besinnung beim Schuldbekenntnis und nach den Gebetseinladungen, zur kurzen Meditation nach den Lesungen und nach der Homilie, zum inneren Lobgebet nach der Kommunion.“ (1) Vom Eucharistiegebet heißt es dagegen: „Die Bedeutung des eucharistischen Hochgebets verlangt, daß alle es in ehrfürchtigem Schweigen anhören und durch die vorgesehenen Akklamationen mit vollziehen.“(2)
Damit war endgültig die Kanonstille(3) aufgegeben, nachdem sie mehr als ein Jahrtausend in Übung gestanden hatte.
Das allmähliche Aufkommen der Kanonstille in der Westkirche fällt, wie wir sehen werden, zeitlich mit dem Wegfall der schon früh bezeugten Altarvorhänge zusammen. Deshalb werfen wir zunächst einen Blick auf den Kirchenbau des 1. Jahrtausends und seine Ausstattung, bevor wir uns der Geschichte der Kanonstille und ihrer Begründungen zuwenden können. Doch davor rufen wir einige allgemeine Grundsätze in Erinnerung, die die Kirche stets beim Kirchenbau geleitet haben.
1. Heiliger Raum
Es galt stets als völlig klar, dass das liturgische Geschehen sich im heiligen Raum der Kirche vollzieht. Sie ist zugleich Haus der Gemeinde, in dem man zur Feier der Eucharistie und zum Lob Gottes zusammenkommt, und Haus Gottes als Tempel der Christen. In der Nachfolge des Tempels zu Jerusalem sollten die Gläubigen in ihm „die Macht und die Herrlichkeit des Herrn“ (Ps 62,3) schauen. Man knüpfte also bewusst an den Alten Bund an, in dessen Nachfolge man sich wusste.
Außerdem war man sich bewusst, dass die Apokalypse des Johannes Maßstäbe und Kriterien dafür gibt, was Kirche ist und woher ein Kirchenraum sein Maß nimmt. Angesichts der zerrütteten und sich ins Chaos auflösenden Schöpfung stellt sich die Kirche als der rettende Hafen dar, als der Ort, an dem sich der neue Äon, die Königsherrschaft Gottes schon ankündigt und andeutet. Deshalb ist das Handeln im Kirchenraum, die Liturgie, das treue und unmittelbare Abbild der immerwährenden himmlischen Liturgie der Engel. In der Überleitung zum Engelsgesang des Sanctus heißt es deshalb nicht, daß die Engel mit uns Gott verherrlichen, sondern daß wir in ihren Gesang einstimmen dürfen.
In dieser engen Verbindung zur Liturgie sind in allen Jahrhunderten Kirchen gebaut worden als Räume, die diesem liturgischen Handeln entsprechen und die die Ordnung der Liturgie schon in der Struktur der Bauelemente sichtbar machen.
2. Der Altarraum und seine Ausstattung in den Kirchen des 1. Jahrtausends
Aus der frühesten Zeit des Christentums sind keine Baudenkmäler liturgischer Räume zu finden. Eigene Kultbauten gab es zunächst nicht. Entsprechend dem Beispiel Jesu, der das Letzte Abendmahl mit seinen Aposteln im Obergemach (coenaculum) eines Wohnhauses gefeiert hatte, war in den ersten zwei Jahrhunderten und teilweise noch darüber hinaus der Versammlungsort der Christen zur Feier des Herrenmahles, der coena dominica, der Speisesaal eines reichen Gemeindemitglieds. In der Apostelgeschichte (20,7-12) wird ein solches coenaculum bei der Abschieds-Eucharistiefeier des Apostels Paulus in Troas erwähnt.
Schon bald ging man dazu über, in den Häusern feste Räume für die Eucharistiefeier einzurichten. Paulus nennt mehrfach die Namen der „mein und der ganzen Gemeinde Gastgeber“ (Röm 16,23). In Rom waren es die sogenannten tituli, aus denen später die Titelkirchen hervorgingen.
Ein frühes Beispiel einer solchen Hauskirche (domus ecclesiae) findet sich in Dura-Europos am Euphrat, wo durch Abriß einer Zwischenmauer aus zwei Räumen ein größerer Saal (5 x 12,5 m) in Ost-Westrichtung gebildet wurde.
Man beging die Eucharistie also zunächst in kleinen Gruppen in den sogenannten domus ecclesiae, den Hauskirchen, die Gläubigen saßen dabei mit dem Priester auf einer halbkreisförmigen Bank direkt am Altartisch, Sigmatisch: Eine der ältesten Darstellungen des Abendmahls (Kirche S. Appolinare in Ravenna) wobei der Priester auf dem Ehrenplatz (am linken Ende vom Betrachter aus gesehen) saß und die Vorderseite frei blieb.
Diese Hausgemeinschaften verschwinden erst in der Epoche der ‚klassischen‘ Liturgie, nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion.
Diese urchristliche Praxis wurde sicher nicht überall zur gleichen Zeit aufgegeben.(4) Spätestens seit der Konstantinischen Wende hat sich aber wohl eine neue Gestalt von Kirchenbau und besonders des Altarraums herausgebildet. Das Anwachsen der Gemeinden machte damals neue Wege notwendig.
Eine frühe Beschreibung des neuen Typs bietet Eusebius von der 314 erbauten Kirche von Tyrus in Palästina. (5) Der Altar steht hier bereits in einem von kunstvollen Schranken umgebenen eigenen Altarraum, „damit die Menge ihn nicht betrete“.
In den konstantinischen Basiliken sitzen der Bischof und die Priester im Halbrund der Apsis. Die frühchristliche halbkreisförmige Sigmabank der Gläubigen ist nun zur Klerikerbank geworden, während sich die Gläubigen nach Geschlechtern getrennt in den Seitenschiffen aufhalten. In den kleineren Saalkirchen v.a. des 5/6. Jahrhunderts haben sie Sitzplätze auf Bänken entlang der Seitenwände, wie es heute noch vielfach in der Ostkirche üblich ist. Von da an sind in Ost und West die Altarräume regelmäßig durch Chorschranken, cancelli, vom Kirchenschiff abgegrenzt. Waren diese zunächst aus Holz, so werden sie später aus Stein gefertigt und mit meist 4-6 Säulen versehen, die einen Querbalken tragen. An diesen Querbalken sind Vorhänge befestigt, die während des eigentlichen Opfergebets zugezogen wurden.
Im Gegensatz zum christlichen Osten kennen wir im Westen nur wenige Kirchenbauten, die die ursprüngliche Gestalt der Chorschranken bewahrt haben: v.a. in S. Marco in Venedig, in Sta. Maria in Grado, im Dom von Torcello und S. Giovanni in Argentella in Palombara (Tivoli). In vielen älteren Kirchen finden sich jedoch Reste der ursprünglichen Chorschranken, die oft in die Wände eingelassen sind. In den hölzernen schwedischen Stabkirchen, die in späterer Zeit fast nicht verändert und umgebaut wurden, lassen die Chorschranken noch deutlich ihre alte Gestalt erkennen.
In kleineren Kirchen, in denen kein Platz für eigentliche Chorschranken war, wurde der Vorhang auch einfach an einem hölzernen Querbalken aufgehängt, der in die Seitenwände eingelassen war, wie noch heute in der kleinen Burgkapelle von Hocheppan sichtbar ist.
Zusätzlich war der Altar häufig mit einem Ziborium überdacht, an dem ebenfalls Vorhänge angebracht waren. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Altarbaldachin von S. Ambrogio in Mailand, an dem die Querstangen zur Befestigung der Vorhänge noch sichtbar sind.
Die Vorhänge bezeugt für den Westen das Sakramentar von Angouleme (um 800), wo es am Schluss der Kirchweihe heißt: „Danach werden die Altäre bekleidet und die vela templi aufgehängt. (6) Auch Durandus berichtet in seinem Rationale(7) von den beiden Vorhängen an den Chorschranken und am Altarbaldachin. Selbst als im Westen die frühchristlichen Vorhänge der cancelli bzw. des Ziboriumaltars ihren ursprünglichen Sinn verloren hatten, weil der Altar nicht mehr verhüllt wurde, erhielten sie sich noch vielfach als seitliche Vorhänge links und rechts des eigentlichen Altarbezirks bis weit in die Gotik hinein. Selbst im Barock sind sie nicht ganz verschwunden: gelegentlich finden sie sich noch als Zierde an den Eingängen zum hinter dem Altar liegenden Teil der Kirche.
Der christliche Osten kennt die Vorhänge bis heute. Im byzantinischen Ritus sind sie an den heiligen Türen der Ikonostase befestigt, wo sie zu bestimmten Teilen des Gottesdienstes – und immer außerhalb desselben zugezogen werden. Die armenische Kirche kennt einen großen Vorhang, der während des Hochgebets vor dem Altarraum zugezogen wird. Das alttestamentliche Vorbild ist dabei der Tempel zu Jerusalem, wo ebenfalls ein Vorhang das Allerheiligste vom Heiligtum abtrennte. Dieser Vorhang ist bekanntlich beim Tod Jesu zerrissen (vgl. Mt 27,51).
Der Tempelvorhang bewahrte das Allerheiligste mit der Bundeslade vor den Blicken aller, nur der Hohepriester durfte einmal im Jahr das Allerheiligste betreten. Ähnliches gilt für die Vorhänge der christlichen Kirchen. Sie dienten ebenfalls dazu, den Altar und seinen Raum vor Profanation zu bewahren („damit die Menge ihn nicht betrete“), und zur Wahrung des Mysteriums, das auf ihm gefeiert wurde. So entsprechen sie „einem in der Religionsgeschichte vielfach zu belegenden menschlichen Bedürfnis, Heiliges ehrfürchtig zu verhüllen.(8)
3. Die Kanonstille
„Ursprünglich wurde der Kanon laut gebetet oder in einfachem Ton gesungen“, sagt E. Lengeling im älteren Lexikon für Theologie und Kirche(9) und führt als Beleg den heiligen Augustinus an.(10) Das war schon deshalb notwendig, weil die Altarvorhänge den Blick zum Altar und auf den Priester während des Hochgebets verhüllten. Im byzantinischen Osten werden auch heute noch wenigstens die wichtigsten Teile der Anaphora laut gesungen. Ansonsten wüßten die Gläubigen gar nicht, was sich hinter der Ikonostase abspielt und bei welchem Teil des Hochgebets der Priester gerade ist.
„Die Anfänge einer Kanonstille liegen im syrischen Osten, wo bereits im 5. Jh. die Sitte aufkam, den Priester den Einsetzungsbericht leise sprechen zu lassen. (11) Im lateinischen Westen vollzieht sich der Übergang zum zunächst gedämpften und später dann leisen Vortrag des Kanons ab dem 8. Jh. Während der erste römische Ordo noch nach dem Sanctus sagt: „Quem dum expleverint, surgit pontifex solus et intrat in canone“ (Während sie es vollenden, erhebt sich der Pontifex allein und tritt in den Kanon ein) (12), heißt es in der ersten fränkischen Bearbeitung dieses Ordo in der Mitte des 8. Jahrhunderts: „Et incipit canire dissimili voce et me/odia, ita ut a circumstantibus altare tantum audiatur“ (Und er beginnt mit verhaltener Stimme und Melodie zu singen, so daß nur die den Altar Umstehenden es hören).(13)
Es geht also zunächst um ein gedämpftes Sprechen oder Singen, so daß er von den direkt am Altar Stehenden noch gehört wird. Gesicherte Nachrichten über ein stilles Beten des Kanons gibt es ab der Wende zum 9. Jahrhundert. So hat der Ordo secundum Romanos, eine spätkarolingische Bearbeitung des Ordo Romanus I, den Satz geändert zu: „surgit solus pontifex et tacito intrat in canonem“ (erhebt sich allein der Pontifex und tritt schweigend in den Kanon ein).(14)
Bei dieser Praxis sollte es dann bleiben, „womit nicht gesagt ist, daß man das Stillbeten schon vor Pius V. überall im Sinne völlig unhörbaren Sprechens verstanden hat.(15) So mahnen auch später noch vereinzelt Synoden zu einem deutlichen und bestimmten(16) Vortrag des Kanon an. Der Ordo des Kardinals Stefaneschi fordert um 1311, der Priester müssen den Kanon „mit verhaltener Stimme“ (submissa voce) sprechen wie das gemeinsame Sanctus mit Diakon und Subdiakon.(17) So wird auch heute noch in der außerordentlichen Form die Weihe des Krankenöls am Ende des Kanons „voce demissa“ vollzogen. Das Tridentinum spricht bei der Verteidigung der Kanonstille noch von einer „submissa VOX„.(18) Endgültige Vorschrift wurde der „leise“ (secreto) zu vollziehende Vortrag des Kanons erst mit dem Missale Romanum Pius V.
In der Praxis hat sich die Kanonstille jedoch nicht für den ganzen Canon Missae durchhalten können. „Im Mittelalter waren Elevationsgesänge und laut gesprochene Anbetungsgebete im Umkreis der Konsekration weit verbreitet. In der Neuzeit erklang vielfach nach der Erhebung von Hostie und Kelch das muttersprachliche Nachwandlungslied“.(19) Im gesungenen Amt sang die Gemeinde das Sanctus, während der Priester nach seinem gebeteten Sanctus mit dem Kanon begann, wie es auch das obige Zitat aus dem ersten römischen Ordo schon sagte. Später wurden dann Sanctus und Benedictus getrennt gesungen, v.a. in polyphonen Meßkompositionen, dann aber auch in der Gregorianik, das Sanctus vor der Wandlung, das Benedictus nach der Wandlung. Seit der Aufklärung wurden vielfach volkssprachliche Kirchenlieder während der ganzen stillen Messe gesungen, die sich mehr oder weniger gut an die liturgischen Texte anlehnten (vgl. Schubert-Messe), auch während des Kanons mit Ausnahme der Wandlung.
Noch unsäglicher waren die sogenannten Betsingmessen, in denen die liturgischen Gesänge durch Lieder ersetzt wurden, während der Priester die offiziellen Texte am Altar leise lesen mußte. Dazwischen wurden im Wechsel zwischen Vorbeter und Gemeinde volkssprachliche Gebete „Zum Kirchengebet“, „Zum Graduale“ usw. gesprochen. Während des Kanons selbst wurden Gebete „Vor der heiligen Wandlung“ und „Nach der heiligen Wandlung“ mitsamt dem landessprachlichen Vaterunser gebetet. Die Kanonstille war dabei völlig zur Wandlungsstille geworden. Diese deutsche Unsitte blieb bis zum Zweiten Vatikanum an den meisten Orten in Gebrauch. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird (wieder) das ganze Sanctus-Benedictus nach der Präfation während des ersten Teils des Kanons vor der Wandlung gesungen. Danach sollte dann Stille herrschen.
„Während in der römischen Liturgie das Mysterium tremendum, das sich während des Kanons vollzieht, ungefähr seit der Jahrtausendwende durch die Kanonstille gewahrt und geschützt bleibt, geht der Osten hierbei andere Wege. Während des gesamten Hochgebets sind die Türen der Ikonostase verschlossen, ebenso wie der Vorhang an den Türen. Das heilige Geschehen bleibt den Augen der Gläubigen verborgen. Dafür werden die entscheidenden Passagen des Hochgebets feierlich gesungen: die Einsetzungsworte, auf die die Gläubigen jeweils mit Amen antworten, die Darbringung, sowie bestimmte Teile der Fürbitten. Während der übrigen still vom Priester gebeteten Teile singen Chor und Volk verschiedene Antiphonen.“(2o)
4. Kanonstille zur Wahrung des Mysteriums
Begründungen für die Kanonstille aus der Zeit ihrer Entstehung sind uns keine bekannt. Erst später macht man sich Gedanken über ihren Sinn. Es gab ganz verschiedene Begründungen. So schreibt A. Heinz: „Die … Kanonstille wurde von den mittelalterlichen Liturgikern(21) aus dem priesterlichen Charakter des Kanons und aus der Heiligen Schrift (z. B. Mt 6,6; 14,23) begründet“(22). Als wichtiger äußerer Grund wird auch die Ermüdung des Priesters und des Volkes genannt, das die lateinische Sprache nicht mehr versteht, und durch den mit dem Sanctus erweiterten Umfang des Kanons.(23)
Das scheinen späte etwas unbeholfene Versuche zu sein, etwas zu begründen, was man sich nicht mehr genau erklären konnte. Treffender und richtiger sind wohl Hinweise auf den Schutz vor Profanation. So schreibt Pseudo-Alkuin, die Kanonstille sei dazu da, „damit so heilige und zu einem so großen Mysterium gehörende Worte nicht verächtlich gemacht werden, wenn fast alle sie durch den Gebrauch auswendig behalten und sie auf Plätzen und Straßen und an anderen Orten, wo es sich nicht gehört, singen“(24). Er führt dann eine verbreitete mittelalterliche Legende an, nach der einst Hirten auf dem Feld den Meßkanon gesungen hätten und deshalb von Gott mit dem Tod bestraft worden seien. Diese Legende geht auf Johannes Moschus (+ 619) zurück, der sie wohl als erster aufgezeichnet hat. Da werden die Hirtenknaben für ihren Frevel vom Blitz erschlagen.(25) Auch nach Remigius von Auxerre können nur durch die Kanonstille die heiligen Worte vor Verunehrung geschützt und der Strafe Gottes vorgebeugt werden(26). Auffällig ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Wegfall der Altarvorhänge und dem Aufkommen der Kanonstille. Auch wenn wir keinen direkten schriftlichen Hinweis auf einen inneren Zusammenhang haben, ist doch der zeitliche vielsagend. So erwähnt auch V. Thalhofer im Zusammenhang mit der Kanonstille die alten Altarvorhänge, wenn auch in ihrer späteren rudimentären Form: „Zur Mahnung für den Priester, daß er während des Kanons so recht im Allerheiligsten des Neuen Bundes stehe, wurden früher in manchen Kirchen beim Beginn des Kanons rechts und links vom Altar Vorhänge vorgezogen“(27). Auch wenn Thalhofer nicht mehr den ursprünglichen Sinn der Altarvorhänge und ihre Verwendung kannte, scheint er doch einen inneren Zusammenhang geahnt zu haben. Sowohl die frühere Verhüllung der Altäre zur Zeit des Kanons als auch die spätere Kanonstille dienten beide in erster Linie zum Schutz des Allerheiligsten im doppelten Sinn: zum Schutz des Altars und der Eucharistie, die auf ihm gefeiert wurde.
Als in der Westkirche die Altarvorhänge außer Übung kamen, mußte nun auf andere Weise das Mysterium gewahrt und der Altar vor Profanation geschützt werden. Man ging dementsprechend dazu über, das Herzstück der Messe, den Kanon, zunächst verhalten und dann ganz leise zu sprechen. Welcher dieser beiden Vorgänge den anderen verursacht hat, ob also die Kanonstille die Folge der Nichtweiterverwendung der Vorhänge war oder umgekehrt, ist heute nicht mehr festzustellen.
5. Vom (vorläufigen) Ende der Kanonstille
Eine erste Lockerung der Vorschrift, den Kanon still zu beten, gab es in einer Instruktion der Ritenkongregation vom 3.9.1958, die für Rundfunkübertagungen eine „vox tantisper elevata“ empfahl, also eine leicht erhobene Sprache (28). Das erste Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1964) war die Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium. Die Konzilsväter nahmen darin den Gedanken des heiligen Pius‘ X. auf, „der in der aktiven Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie, die erste und unerlässliche Quelle echten christlichen Geistes‘ (Motuproprio „Tra le sollecitudini“ 22.11.1912) und somit der inneren Erneuerung der Kirche sah“(29).
So wird in der Konstitution als eines der grundlegenden Prinzipien der Liturgie die „volle, bewußte und tätige Teilnahme (actuosa participatio) an den liturgischen Feiern“ (SC 14) genannt. A. Bugnini macht diese Aussage sogar zum „Schlüssel der Liturgiereform“: „Die Teilnahme des Gottesvolkes an der liturgischen Feier und seine aktive Hineinnahme sind letzter Zweck der Reform“(3o). Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß actuosus (lebhaft) nicht gleichbedeutend mit activus (tätig) ist. Eine lebhafte innere Teilnahme verlangt nicht notwendig nach äußerer Aktivität, sie kann auch im Schweigen bestehen. So ging die Liturgiekonstitution wie selbstverständlich vom Fortbestand der Kanonstille aus: „Die Empfehlung, das heilige Schweigen zu seiner Zeit einzuhalten, wie es die Instruktion der Ritenkongregation vom 3. September 1958, Nr. 25e und f für die Zeit der Wandlung fordert und nachher bis zum Pater noster empfiehlt … , wurde auf Wunsch eines Konzilsvaters von der Liturgiekommission dem Entwurf hinzugefügt“(31) „Zumindest sollte die Wandlung still vollzogen werden und nach Möglichkeit bis zum Pater noster heiliges Schweigen die Herzmitte der heiligen Messe umgeben, so wie die Konzilsväter es vom 1962er Missale her kannten.“(32)
Hielt das Konzil also noch prinzipiell an der Kanonstille fest, so sollte sich das bald ändern. Der neugeschaffene Ritus der Konzelebration sah bereits den Vortrag des Kanons „elata voce“ (mit erhobener Stimme) oder „cantu“ (gesungen) vor (Nr. 37-40). Noch weiter ging die Instruktion Tres abhinc annos zur Durchführung der Liturgiekonstitution vom 4. Mai 1967. „Zwar sieht sie noch die Kanonstille als die normale Form vor, doch erlaubt sie dem Priester in Messen mit dem Volk pro opportunitate (gegebenenfalls) das Eucharistische Gebet laut (intelligibili voce) zu sprechen.
Die wenige Wochen danach erschienene Instruktion Eucharisticum mysterium vom 25. Mail 1967 wiederholt diese Möglichkeit. Erst der Ordo Missae Pauls VI., der von ihm am 3. April mit der Apostolischen Konstitution Missale Romanum approbiert worden ist und vom 30. November 1969 an in der Katholischen Kirche des Lateinischen Ritus Geltung hat, sieht die Kanonstille nicht mehr vor. Wie die anderen Präsidialgebete (Collecta, Oratio super oblata, Oratio post communionem) soll auch das Eucharistische Hochgebet laut und deutlich (clara et elata voce) gesprochen und von den Gläubigen gehört werden (auscultentur).“(33). Das war das vorläufige Ende einer mehr als tausendjährigen Übung der römischen Kirche, die die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils keineswegs abschaffen wollten, wie wir oben sahen.
Vorläufig nennen wir das Ende, weil seit dem Motu Proprio Summorum Pontificum der römische Ritus in zwei Ausdrucksformen besteht, der ordentlichen nach dem Meßbuch Pauls VI. von 1969 und der außerordentlichen nach dem Meßbuch des seligen Papstes Johannes XXIII. von 1962, das weiterhin die Kanonstille kennt. Da nach Aussage Papst Benedikts XVI. die beiden Formen sich gegenseitig bereichern sollen,(34) ist die Zukunft der Kanonstille wieder offen.
6. Benedikt XVI. und die Kanonstille und weitere neuere Begründungen
In der nachkonziliaren Praxis ist die Euphorie darüber, daß der Kanon durch den lauten Vortrag „seine ursprüngliche Funktion als öffentliches Hochgebet des Volkes vor Gott“ wiedererlangt hat, inzwischen längst verflogen. Deutsche Liturgiewissenschaftler beklagen vielmehr: „Der volkssprachliche, laute Vollzug der bestehenden Hochgebete ist für die Teilnehmer ermüdend und läßt gerade den Höhepunkt der gesamten Feier zu einem emotionalen Tiefpunkt werden“(35).
Der jetzige Papst Benedikt XVI. nahm das in „Vom Geist der Liturgie“ zum Anlaß über die Möglichkeit einer Kanonstille auch in der ordentlichen Form der Messe nachzudenken: „Inzwischen haben die deutschen Liturgiker bei ihren Bemühungen für eine Reform des Missale selbst ausdrücklich bekundet, daß ausgerechnet der Höhepunkt der Eucharistiefeier, das Hochgebet, zu ihrem eigentlichen Krisenpunkt geworden ist. Man hatte dem seit der Reform zunächst durch die Erfindung fortwährend neuer Hochgebete zu begegnen gesucht und ist damit immer noch weiter ins Banale abgesunken. Die Vermehrung der Wörter hilft nicht, das ist inzwischen allzu offenkundig. Die Liturgiker schlagen nun mancherlei Hilfen vor, die durchaus Bedenkenswertes enthalten. Aber soweit ich sehen kann, sperren sie sich nach wie vor gegenüber der Möglichkeit, daß auch Stille, gerade Stille Gemeinschaft vor Gott bilden kann. Es ist doch kein Zufall, daß man in Jerusalem schon sehr früh Teile des Kanons still gebetet hat und daß im Westen die Kanonstille – zum Teil überlagert von meditativem Gesang – zur Norm geworden war. Wer dies alles nur als Folge von Mißverständnissen abtut, macht es sich zu leicht. Es ist gar nicht wahr, daß der vollständige, ununterbrochene laute Vortrag des Hochgebetes die Bedingung für die Beteiligung aller an diesem zentralen Akt der Eucharistiefeier sei. Mein Vorschlag von damals (1978, Anm. d. Verf.) war: Zum einen muß liturgische Bildung erreichen, daß die Gläubigen die wesentliche Bedeutung und die Grundrichtung des Kanons kennen. Zum anderen sollten etwa die ersten Worte der einzelnen Gebete gleichsam als Stichwort für die versammelte Gemeinde laut gesprochen werden, so daß dann das stille Gebet jedes Einzelnen die Intonation aufnehmen und das Persönliche ins Gemeinsame, das Gemeinsame ins Persönliche hineintragen kann“(36).
Der damalige Kardinal Ratzinger gibt eine Reihe von Gründen an, die für ein heiliges Schweigen in der Liturgie und für die Kanonstille im besonderen sprechen. Mit dem Argument, das Schweigen lasse besonders deutlich den Geheimnischarakter der Liturgie erfahren, knüpft er an das alte Argument von der Wahrung des Mysteriums an: „Immer deutlicher werden wir inne, dass zur Liturgie auch das Schweigen gehört. Dem redenden Gott antworten wir singend und betend, aber das größere Geheimnis, das über alle Worte hinausgeht, ruft uns auch ins Schweigen. Freilich, es muss ein gefülltes Schweigen sein, mehr als Abwesenheit von Rede und Aktion. Von der Liturgie erwarten wir uns gerade dies, dass sie uns die positive Stille gibt, in der wir zu uns selber finden – die Stille, die nicht bloß Pause ist, in der uns tausend Gedanken und Wünsche überfallen, sondern Einkehr, die uns von innen her Frieden gibt, uns aufatmen lässt, das verschüttete Eigentliche aufdeckt.“(37)
Ähnlich argumentiert M. Gaudron, wenn er sagt, Kanonstille und lateinische Liturgiesprache seien „ein Ausdruck der Unbegreiflichkeit und Unaussprechlichkeit der Geheimnisse, die sich hier vollziehen. ‚“ Die Stille disponiert außerdem zur Sammlung und zur Anbetung. So wichtig das gemeinsame Gebet ist, so ist es doch sehr angemessen, daß es im Meßritus auch die Gelegenheit gibt, ehrfürchtig und schweigend vor dem Geheimnis Gottes niederzufallen.“(38) Weiter betont letzerer, dass die Kanonstille wichtig ist für ein rechtes Verständnis vom Priestertum und das Verhältnis vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen zum sakramentalen Priestertum: „Der Priester alleine verwandelt Brot und Wein und setzt damit das Kreuzopfer gegenwärtig, das Volk trägt dazu nichts bei. Darum verläßt der Priester durch die Stille gewissermaßen das Volk, um in das Allerheiligste einzutreten. Damit gleicht er Christus, der sein Opfer auf Golgatha allein darbrachte: ,Die Kelter trat ich allein‘ (ls 63, 3). Das Volk soll sich zwar dem Opfer des Priesters anschließen und sowohl Christus als auch sich selbst dem ewigen Vater aufopfern, aber an der Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers hat es keinen Anteil.“(39)
Seit dem Konzil wird vielfach der Gemeinschaftscharakter der Liturgie betont, der angeblich erst in der ordentlichen Form des römischen Ritus erfahrbar sei. Doch auch unter diesem Aspekt kann gerade die Kanonstille hilfreich sein. „Wenn die wahrhaftige Gemeinschaft, jene Form, welche ihr zutiefst zu eigen ist und welche ihr angemessen ist, jene der betenden Zuwendung zu Gott ist, muß man auch beachten, was dieser förderlich und was abkömmlich ist. Denn nicht zuletzt hängt diese auch von äußerlichen Rahmenbedingungen ab. Hierfür scheint mir die Kanonstille geradezu eine Voraussetzung zu sein. Wenn der gesamte Kanon jedes Mal laut durch den Priester rezitiert wird, wird das persönliche Gebet, das eigene ln-Kontakt-Treten mit Gott in seinem Keim erstickt. Man hört mehr oder minder aufmerksam zu, aber man betet nicht wirklich. Gerade wenn die Messe laut rezitiert wird, verkommt der Anteil des Einzelnen zu einem reinen ,Hören der Messe‘. Dies war oft eine schwere Anklage gegen die ,alte‘ Messe: man „tut“ nichts, man nimmt nicht wirklich (Anteil), man hört sie ja nur. Doch trifft dieser Vorwurf viel eher auf eine laut rezitierte Messe zu, weil sie den Einzelnen ja gar nicht erst aktiv in das betende Geschehen eindringen läßt. Daß es äußerlich still ist, bedeutet nicht, daß die Gläubigen nichts tun, ist aber eine Voraussetzung dafür das Rechte überhaupt tun zu können.“(4o)
7. Zusammenfassung und Ausblick
Seit nach der Konstantinischen Wende die Kirche nicht mehr verfolgt wurde und deshalb nicht länger eine Gemeinschaft von „Idealisten“ war, verspürte man die Notwendigkeit, den Altar und seinen Raum vor Profanation zu schützen und so das Mysterium zu wahren. Zu diesem Zweck wurde zunächst (auch schon vor Konstantin) der Altarraum mit Schranken vom übrigen Kirchenschiff abgetrennt, „damit die Menge ihn nicht betrete“. Dann wurden vor dem Altarraum und am eventuellen Altarbaldachin Vorhänge angebracht, die v.a. während des Hochgebets vorgezogen wurden. „Dieses Anliegen (Heiliges ehrfürchtig zu verhüllen) hat sich im Christentum nicht nur gegenüber Ungläubigen und den noch nicht voll Eingegliederten in der Ausbildung der Arkandisziplin ausgewirkt, sondern auch gegenüber den Gläubigen, insofern das Herzstück der Eucharistiefeier mehr und mehr zu einer ehrfürchtig verhüllten, dem einfachen Gläubigen nicht mehr zugänglichen Kultfeier umgestaltet wurde.“(41)
Man erachtete diese Entwicklung damals als notwendig, nachdem die damalige bekannte Welt mehr und mehr christlich wurde und somit auch mehr „Laue“ zur Gemeinde gehörten. Als im Westen die Altarvorhänge außer Übung kamen, ging man dazu über, das Herzstück der Messe, den Kanon mit der Wandlung der Gaben, zunächst verhalten und dann ganz leise zu sprechen.
So wollte man ihn vor Profanation schützen und seinen Mysteriencharakter wahren. Jeder Gefahr einer Banalisierung sollte so vorgebeugt werden, damit das Hochgebet der Messe nicht zum ihrem „eigentlichen Krisenpunkt“ werden könnte. Welcher dieser beiden Vorgänge den anderen verursacht hat, ob also die Kanonstille die Folge der Nichtweiterverwendung der Vorhänge war oder umgekehrt, ist heute nicht mehr festzustellen.
Als nach mehr als einem Jahrtausend die Kanonstille bei der Liturgiereform im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils abgeschafft wurde, ergab sich, daß der laut gebetete Kanon zu einem „emotionalen Tiefpunkt“ der Messe wurde. Vor allem der spätere Papst Benedikt XVI., aber auch andere Theologen nahmen sich dieses Problems an und dachten neu über die Bedeutung des heiligen Schweigens und die Kanonstille nach. Neben der alten, nunmehr leicht variierten Begründung zur Wahrung des Mysteriencharakters des Hochgebets der Messe erkennt man auch ihre Bedeutung für ein rechts Verständnis des Priestertums der Kirche, aber auch als Ausdruck des Gemeinschaftscharakters der heiligen Liturgie.
Seit Summorum Pontificum hat die Kanonstille wieder ihren legitimen Platz im römischen Ritus. Ob die vom Papst gewünschte gegenseitige Befruchtung der beiden Formen des einen römischen Ritus ihr auch in der ordentlichen Form einen Platz geben wird, wird die Zukunft zeigen. Lassen wir zum Schluß noch einmal dem heutigen Papst Benedikt XVI. das Wort über den still gebeteten Kanon als „geisterfülltes Beten“, in dem die ganze betende Gemeinde vereint ist: „Wer je eine im stillen Kanongebet geeinte Kirche erlebt hat, der hat erfahren, was wirklich gefülltes Schweigen ist, das zugleich ein lautes und eindringliches Rufen zu Gott, ein geisterfülltes Beten darstellt. Hier beten wirklich alle gemeinsam den Kanon, wenn auch in der Bindung an den besonderen Auftrag des priesterlichen Dienstes. Hier sind alle geeint, von Christus ergriffen, vom heiligen Geist hineingeführt ins gemeinsame Gebet vor dem Vater, das das wahre Opfer ist – die Gott und Welt versöhnende und einende Liebe.“(42)
(1)AEM (allgemeine Einführung in das Meßbuch) 23. In der Vorabpublikation der jetzigen Grundordnung des römischen Meßbuchs heißt es nun unter der Überschrift „Das Schweigen“: „Auch das heilige Schweigen ist als Teil der Feier zu gegebener Zeit zu halten. Sein Charakter hängt davon ab, an welcher Stelle der Feier es vorkommt. Beim Bußakt und nach einer Gebetseinladung besinnen sich alle für sich; nach einer Lesung oder nach der Homilie bedenken sie kurz das Gehörte; nach der Kommunion loben sie Gott und beten zu ihm in ihrem Herzen“ (45).
(2) AEM 55. Grundordnung 78: „Das Eucharistische Hochgebet verlangt, daß alle es ehrfürchtig und schweigend anhören.“
(3) Wenn wir von Kanonstille in der außerordentlichen Form der römischen Messe sprechen, dann muß dazu gesagt werden, daß es eine absolute Kanonstille nicht gibt. In den Generalrubriken des Missale Romanum (XVI, 2) wird das secreto als ein dem Zelebranten selbst noch hörbares Sprechen erklärt. Er darf also den Canon missae nicht einfach nur lesen, sondern er muß ihn für sich selber hörbar sprechen.
(4)Vg.: K. Gamber, Liturgie und Kirchenbau. Studien zur Geschichte der Meßfeier und des Gotteshauses in der Frühzeit, Regensburg 1976, 140.
(5) Eusebius, Historia ecclesiastice, X 4.
(6)Vgl. L, Ouchesne, Origines du culte chretien, Paris,31903, 485.
(7) Ourandus, Rationale divinorum officiorum 1,3 Oe picturis n. 35.
(8)A. Heinz, Schweigen – Stille, in Gottesdienst der Kirche, Teil 3, Regensburg 21990, 247.
(9) E. Lengeling, Kanon der hl. Messe, in: LThK 2V, 1286.
(10) Augustinus, Contra litt. Petil. 11 30: PL43,281.
(11) A. Heinz, aaO.
(12)Ordo rom. I n. 16 (Andrieu 11, 95).
(13) Capitulare eccl. ord. (Andrieu 111, 103).
(14) Ordo sec. Rom. n.10 (Andrieu 11, 221).
(15) J. A. Jungmann, Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, Bd. 11, Freiburg 41958, 131.
(16) rotunde et distincte, vgl. J. A. Jungmann, Missarum sollemnis. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, Bd. 11, Freiburg i. Br. 41958, 131.
(17) Ordo des Kard. Stefaneschi n. 53 (PL 78, 1165).
(18) Conc. Trid. sess. XII, 9 (DH 1759).
(19) A. Heinz, aaO, 248.
(20) Martin Reinecke, Einheit in Vielfalt. Eine Rückbesinnung auf das Erbe der ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends, in: Dominus Vobiscum, Magazin der Laienvereinigung für den klassischen römischen Ritus in der Katholischen Kirche Nr. 1, August 2010, 39.
(21)z. B. Amalarius, Lib. officialis 111 23, 8-12; EcI. 24; Exp. II 13; SteT 139 [1949] 331, 140 [1950] 255.f; Florus Diac. Exp. Missae 42f PL 119, 42 C
(22) LThK, aaO.
(23) Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma I 103 (pL 172, 577 B).
(24) Alkuin, De div. off. c. 40.: ne verba tam sacra et ad tantum mysterium pertinentia vilescerent, dum pene omnes per usum ea retinentes per vicos et plateas aliisque in loGis, ubi non conveniret, ea decantarent.
(25) Johannes Moschus, Pratum spirituale c. 196 (PL 74, 225f.).
(26) Vgl. Remigius von Auxerre, Expositio, PL 101,1256D.
(27) V. Thalhofer, Handbuch der katholischen Liturgik. Zweite. völlig umgearbeitet und vervollständigte Auflage von L. Eisenhofer, Bd.ll, Freiburg i. B. 1912,137.
(28) AAS 50 [1958] 653.
(29) A. Bugnini, Die Liturgiereform. 1948-1975 Zeugnis und Testament, Freiburg i. Br. 1988, 26.
(30) ESD., 25.
(31) E.J. LENGELlNG, Reihe Lebendiger Gottesdienst. Die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie. Lateinischdeutscher Text mit einem Kommentar von Emil Joseph Lengeling, (Heft 5/6) Münster 1964, 65.
(32) G. P. Weishaupt, Päpstliche Weichenstellungen. Das Motu Proprio Summorum Pontificum Papst Benedikts XVI. und der Begleitbrief an die Bischöfe. Ein kirchenrechtlicher Kommentar zu einer „Reform der Reform“, Bonn 2010, 194.
(33) Ebd.
(34) Benedikt XVI., Begleitbrief an die Bischöfe, in: AAS 9 (2007) 797, 24-25.
(35) Studien und Entwürfe zur Meßfeier. Texte der Studienkommission für die Meßliturgie und das Meßbuch, hrsg. von E. Nagel u.a., Freiburg i. Br. 1995, 263
(36) J. Ratzinger, Gesammelte Schriften. Theologie der Liturgie, Bd. 11, Freiburg i. Br. 2008, 181-182.
(37) Ebd,176-177.
(38) M. Gaudron, Die Messe aller Zeiten. Ritus und Theologie des Meßopfers, Altötting 2006, 107.
(39) Ebd.,106
(40) M. Gurtner, Reflexionen zur Theologie der Liturgie. Liturgie als Vorwegnahme des Himmels auf Erden, Aadorf 2009,97-98.
Weilheim liegt im Pfaffenwinkel. Der Starnberger See rauscht unweit sacht vor sich hin, der Große Ostersee lockt und auch der Ammersee. Auf jede Hebung folgt eine Senke, und von jeder Wiese aus sieht der Gast einen Zwiebelturm, einen Glockenturm, einen Kirchturm. Nach Gras riecht es und Erde und manchmal auch ein wenig nach Streit. An diesem Abend steht im oberbayerischen Weilheim nichts Geringeres zur Diskussion als „Kirche zwischen Tradition und Zukunft“.
Geladen wurde unter dieser Überschrift und zum Abschluss der erstmals ausgerufenen „Weilheimer Glaubensfragen“ der Schriftsteller Martin Mosebach. Ob ihn der weite Weg aus Frankfurt am Main schließlich reute? Die zwei Stunden im „Haus der Begegnung“ wurden vor etwa 150 Besuchern zur erhellenden, nicht erheiternden Blaupause einer Zukunft, die Gegenwart zu werden sich anschickt und die der Leidenschaft, dem Streit, der rückhaltlosen Offenheit wieder Heimrecht gibt im kirchlichen Binnenraum. Die Zeit der Formelkompromisse und der Double-Bind-Kommunikationssurrogate ist vorbei.
Martin Mosebach trug zu Beginn das erste Kapitel aus seiner „Häresie der Formlosigkeit“ vor. Es ist die Geschichte eines Menschen, der vom notgedrungen kulinarischen Konsumenten gregorianischer Choräle zum mitfeiernden Apologeten der gregorianischen Messe wurde. Es ist die Geschichte einer Befreiung, die sich 2007 zum Panorama einer weltkirchlichen Renaissance weitete, als Benedikt XVI. die Gleichrangigkeit von alter gregorianischer und neuer reformierter Messe mit gesetzgeberischer Autorität bekräftigte.
Schon die Lesung war für einige Besucher schwer zu ertragen. Man grummelte immer dann, wenn Mosebach den gewordenen Charakter der älteren Messform, deren Anfänge „sich im Dunkel der Geschichte verlieren“, dem gemachten Charakter des Reformwerks von 1970 gegenüberstellte. In der Diskussion schieden sich vollends die Geister. Grüppchen um Grüppchen verließ mal leise und mal türenschlagend den Saal, sodass am Ende vielleicht noch 100 bis 120 Menschen anwesend waren. Unter diesen konnten, dem Applaus nach zu schließen, die Freunde der lateinischen Messe einen knappen Sieg davon tragen.
Kristallklar, nicht konziliant argumentierte Mosebach. Aufgebracht widersprachen ihm viele Männer und drei Frauen, in der Regel „Kinder von ’68 wie wir alle“ (Mosebach). Der Mann mit der ersten Wortmeldung erregte sich derart, dass er nach seinem anklagenden Stakkato flugs den Raum verlassen wollte und von Mosebach ermahnt wurde, doch bitte wenigstens die Antwort abzuwarten. Im Stakkato eingewickelt war eine Rede, wonach die gemeinschaftliche betende Zusammenkunft das entscheidend Christliche am Gottesdienst sei und nicht dessen Form. Das aber, beschied der Dichter den Diskutanten, sei ein Zerrbild des 19. Jahrhunderts. Im Kult, nicht in der Gemeinschaft werde Christus gegenwärtig.
Mal um Mal entschiedener bekräftigte und ergänzte und verschärfte Mosebach: Die Messe sei keine Vergegenwärtigung des Abendmahls, sondern „Phase“, Vorübergang Gottes. Die erste Messe überhaupt habe nicht im Abendmahlssaal, sondern auf Golgatha stattgefunden. Die Christen kennen ihren Glauben, bräuchten ihn nicht in der Messe erst zu erfahren, weshalb die wortlastige Didaxe dort fehl am Platze sei. Keine differenzierteren Aussagen über Gott ließen sich finden als in den Texten der Alten und nur der Alten Messe. Die verheerenden Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil hätten mit ihrem Glaubenskollaps über dieses ein denkbar schlechtes Urteil gesprochen – obwohl es an den Texten kein Jota zu beanstanden gäbe. Vielmehr hätten die deutschen Bischöfe im offenen Widerstand gegen das Konzil Handkommunion und Zelebration versus populum erzwungen. Papst Paul VI., der sein Placet gab zur nachkonziliaren Liturgiereform, müsse man leider einen Tyrannen nennen in jenem spezifisch griechischen Sinne, wonach der Tyrann ein Traditionsunterbrecher sei.
Martin Mosebach ist der Prototyp eines engagierten Laien, der durch seinen gelehrten Furor die sonstige Blässe dieses wohlfeilen Etiketts offenlegt. Gemeinhin ist der engagierte Laie ein halbgebildeter Institutionenkritiker, dessen Engagement den Herrschaftsbereich des Politischen in die Kirche hinein ausdehnen und also vollenden will. Der engagierte Laie will in der Regel mehr vom Selben, die Welt noch einmal. Das Gegenteil will Martin Mosebach: Konzentration statt Diffusion, Sakrament statt Politik, Hierarchie statt Pluralismus.
Verdutzt erklärte eine Dame schließlich, sie frage sich schon sehr, ob es denn zum Anlass des Abends nicht mehr zu sagen gebe als diese oder jene liturgische Betrachtung, ob er denn kein anderes Thema habe. Martin Mosebach replizierte knapp: „Nein, es gibt für mich zunächst einmal kein anderes Thema als die Messe.“ Denn alles, ließe sich sagen, buchstäblich alles in Welt und Nachwelt entscheidet sich daran, ob im Kultus noch ein letztes Mal der christliche Glaube ins Lot kommt.