Dominus Jesus #01

Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche

Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre vom 6. August 2000

Einleitung

1. Bevor der Herr Jesus in den Himmel aufgefahren ist, hat er seinen Jüngern den Auftrag gegeben, der ganzen Welt das Evangelium zu verkünden und alle Völker zu taufen:

»Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden« (Mk 16,15_16). »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,18_20; vgl. auch Lk 24,46_48; Joh 17,18; 20,21; Apg 1,8).

Die universale Sendung der Kirche entspringt dem Auftrag Jesu Christi und verwirklicht sich durch die Jahrhunderte, indem das Mysterium Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, sowie das Mysterium der Menschwerdung des Sohnes als Heilsereignis für die ganze Menschheit verkündet wird. Dies sind die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses:

»Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles erschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt«.1

2. In allen Jahrhunderten hat die Kirche das Evangelium Jesu in Treue verkündet und bezeugt. Am Ende des zweiten christlichen Jahrtausends ist diese Sendung aber noch weit davon entfernt, vollendet zu sein.2 Deshalb ist heute der Ruf des heiligen Paulus über den missionarischen Auftrag jedes Getauften mehr denn je aktuell:

»Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16).

Dies erklärt die besondere Aufmerksamkeit, die das Lehramt der Begründung und Unterstützung des kirchlichen Evangelisierungsauftrags gewidmet hat, vor allem in Beziehung zu den religiösen Traditionen der Welt.3

In Anbetracht der Werte, die in diesen Traditionen bezeugt und der Menschheit angeboten werden, heißt es in der Konzilserklärung über die Beziehung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen offen und positiv:

»Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet«.4

In Fortführung dieser Linie wird heute beim Auftrag der Kirche zur Verkündigung Jesu Christi, der

»der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6) ist, auch der interreligiöse Dialog gepflegt, der die missio ad gentes gewiss nicht ersetzt, sondern begleitet, wegen jenes Mysteriums der Einheit, aus dem folgt, »dass alle erlösten Menschen, wenngleich in Verschiedenheit, dennoch an dem einen und selben Geheimnis der Erlösung in Jesus Christus durch den Heiligen Geist teilhaben«.5

Dieser Dialog, der zum Evangelisierungsauftrag der Kirche gehört,6 führt zu einer Haltung des Verständnisses und zu einer Beziehung der gegenseitigen Kenntnis und der wechselseitigen Bereicherung, und zwar im Gehorsam gegenüber der Wahrheit und mit Respekt vor der Freiheit.7

3. Die Praxis und die theoretische Vertiefung des Dialogs zwischen dem christlichen Glauben und den anderen religiösen Traditionen werfen neue Fragen auf, auf die man einzugehen versucht, indem man neue Wege der Forschung einschlägt, Vorschläge entwickelt und Verhaltensweisen anregt, die eines sorgfältigen Unterscheidungsvermögens bedürfen. Die vorliegende Erklärung möchte den Bischöfen, Theologen und allen katholischen Gläubigen zu dieser Thematik einige unumgängliche lehrmäßige Inhalte in Erinnerung rufen, die der theologischen Forschung helfen sollen, Lösungen zu entwickeln, die mit dem Glaubensgut übereinstimmen und auf die kulturellen Bedürfnisse unserer Zeit antworten.

Die darlegende Sprache der Erklärung entspricht ihrer Zielsetzung. Diese besteht nicht darin, in organischer Weise die Problematik über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche zu behandeln oder Lösungen zu den Fragen vorzulegen, die von den Theologen frei diskutiert werden. Die Erklärung will vielmehr die Lehre des katholischen Glaubens zu dieser Thematik erneut darlegen, zugleich einige wesentliche Probleme erwähnen, die für weitere Vertiefungen offen bleiben, und bestimmte irrige oder zweideutige Positionen zurückweisen. Aus diesem Grund greift die Erklärung auf die Lehre zurück, die in früheren Dokumenten des Lehramts vorgetragen wurde, und beabsichtigt, jene Wahrheiten zu bekräftigen, die zum Glaubensgut der Kirche gehören.

4. Die immerwährende missionarische Verkündigung der Kirche wird heute durch relativistische Theorien gefährdet, die den religiösen Pluralismus nicht nur de facto, sondern auch de jure (oder prinzipiell) rechtfertigen wollen. In der Folge werden Wahrheiten als überholt betrachtet, wie etwa der endgültige und vollständige Charakter der Offenbarung Jesu Christi, die Natur des christlichen Glaubens im Verhältnis zu der inneren Überzeugung in den anderen Religionen, die Inspiration der Bücher der Heiligen Schrift, die personale Einheit zwischen dem ewigen Wort und Jesus von Nazareth, die Einheit der Heilsordnung des fleischgewordenen Wortes und des Heiligen Geistes, die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi, die universale Heilsmittlerschaft der Kirche, die Untrennbarkeit — wenn auch Unterscheidbarkeit — zwischen dem Reich Gottes, dem Reich Christi und der Kirche, die Subsistenz der einen Kirche Christi in der katholischen Kirche.

Die Wurzeln dieser Auffassungen sind in einigen Voraussetzungen philosophischer wie auch theologischer Natur zu suchen, die dem Verständnis und der Annahme der geoffenbarten Wahrheit entgegenstehen. Einige davon sind: die Überzeugung, dass die göttliche Wahrheit nicht fassbar und nicht aussprechbar ist, nicht einmal durch die christliche Offenbarung; die relativistische Haltung gegenüber der Wahrheit, weswegen das, was für die einen wahr ist, es nicht für andere wäre; der radikale Gegensatz, der zwischen der logischen Denkweise im Abendland und der symbolischen Denkweise im Orient besteht; der Subjektivismus jener, die den Verstand als einzige Quelle der Erkenntnis annehmen und so unfähig werden, »den Blick nach oben zu erheben, um das Wagnis einzugehen, zur Wahrheit des Seins zu gelangen«;8 die Schwierigkeit zu verstehen und anzunehmen, dass es in der Geschichte endgültige und eschatologische Ereignisse gibt; die metaphysische Entleerung des Ereignisses der Menschwerdung des ewigen Logos in der Zeit, die zu einer bloßen Erscheinung Gottes in der Geschichte verkürzt wird; der Eklektizismus jener, die in der theologischen Forschung Ideen übernehmen, die aus unterschiedlichen philosophischen und religiösen Strömungen stammen, ohne sich um deren Logik und systematischen Zusammenhang sowie deren Vereinbarkeit mit der christlichen Wahrheit zu kümmern; schließlich die Tendenz, die Heilige Schrift ohne Rücksicht auf die Überlieferung und das kirchliche Lehramt zu lesen und zu erklären.

Ausgehend von solchen Voraussetzungen, die in unterschiedlichen Nuancierungen zuweilen als Behauptungen, zuweilen als Hypothesen auftreten, werden theologische Vorschläge erarbeitet, in denen die christliche Offenbarung und das Mysterium Jesu Christi und der Kirche ihren Charakter als absolute und universale Heilswahrheit verlieren oder wenigstens mit einem Schatten des Zweifels und der Unsicherheit behaftet werden.

Fortsetzung folgt …