Obwohl das Thema Hexenprozesse in Europa seit gut 300 Jahren Geschichte ist, streuen so ab und an die Populärmedien das Thema Hexenverfolgung gerne in die Wissenschaftssparte ihrer Ausgaben. Zuletzt von mir wahrgenommen am (gedenkwürdigen) 13. Juli 2014 in der Sonntagsausgabe der Rheinpfalz.
Der Artikel war zwar einem Kämpfer gegen den Hexenwahn gewidmet (Johann Weyer); der Autor bediente sich aber auch eines beliebten Klischees zu diesem Thema. Denn gerade bei Themen, die bis heute emotional aufgeladen sind, setzen sich die Geschichtsbilder durch, die das Befinden der Mehrheit bedienen. Ob sie wahr sind, ist dann in der Regel nicht mehr so wichtig.
Dabei beruhen falsche Darstellungen in Medienberichten des Öfteren auf baren Fälschungen. Das Klischee beispielsweise, dessen sich der oben genannte Artikel bedient, könnte mit dem folgenden Satz zusammengefasst werden: „Die (katholische) Kirche hat im Mittelalter Millionen von Frauen in Europa als Hexen verbrannt, bevor die Aufklärung kam und dem Spuk ein Ende bereitete“.
In diesem kurzen Satz stecken nicht weniger als fünf Fehler.
Erster Fehler: Die Zeit
Die meisten Hexenverbrennungen wurden in Europa nicht im Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit verübt; also im Zeitraum von 1450 bis 1750 (Höhepunkt 1550–1650). (2)
Zweiter Fehler: Die Opfer
Es waren nicht „8 oder 9 Millionen Opfer“, diese Zahl nennt zuletzt die nicht gerade glaubwürdige nationalsozialistische Propaganda Mitte des letzten Jahrhunderts. Die Historiker gehen heute von etwa 50.000 Opfer in Europa in einem Zeitrahmen von 350 Jahren aus. Das ist immer noch sehr viel, vergleicht man aber diese Zahl mit der Anzahl der jährlichen Opfer von Christenverfolgungen heute mit etwa 100.000 Opfer (1), dann bekommt die Zahl sofort einen kleineren Stellenwert.
Nur in Deutschland waren die Opfer mehrheitlich Frauen. Ansonsten war das Geschlechterverhältnis eher ausgeglichen. In Estland waren dagegen 60% der Opfer Männer, in Island sogar 90%.
Dritter Fehler: Die Täter
Das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war in der Neuzeit (zur „Tatzeit“) bekanntlich teilweise reformiert. Es ist heute unumstritten, dass die Opferzahlen zwischen protestantischen und katholischen Gebieten des Reichs ungleich verteilt waren – zu Lasten der protestantischen Gebiete. Daher ist es sehr verwunderlich, dass der Hexenterror immerzu der katholischen Kirche zugeschrieben wird.
Im Zusammenhang mit Hexenverbrennungen wird auch immer gerne die Inquisition genannt. Das Interessante darin ist, dass nur an einigen hundert der über drei Millionen Hexenprozesse, die „Heilige Inquisition“ überhaupt beteiligt war. Es haben also überwiegend weltliche Gerichte die Hexenprozesse zu verantworten, nicht das kirchliche Gericht.
Die Inquisition beschäftigte sich nämlich hauptsächlich mit Ketzer, die öffentlich Irrlehren verbreiteten und nicht mit Hexen. Im „Musterländle“ der Glaubensbefragung (=Spanien) gab es keine Hexenverfolgung – Dank der Inquisition und in Rom – dem vermeintlichen Zentrum des Terrors – wurde nie eine Hexe oder ein Zauberer verbrannt.
Die Katholische Kirche hat die Hexenverfolgung niemals offiziell bejaht.
Was ist aber mit dem Hexenhammer, der als Handbuch der Hexenstrafverfolger gilt? – Dazu muss man folgendes wissen: Der Hexenhammer (Malleus Maleficarum) wurde im Jahr 1486 von Heinrich Kramer (Heinrich Institoris) aus Verdrossenheit geschrieben, nachdem er leidenschaftlich Hexen jagte und aufgrund seiner willkürlichen und unrechtmäßigen Vorgehensweise vom Bischof von Brixen [sic!] gefeuert und des Landes verwiesen wurde (2). Der Hexenhammer ist daher als Auswurf eines Frustabbaus und nicht als katholisches Lehrwerk anzusehen – das war er übrigens auch nie.
Und noch ein Wort zur „Hexenbulle“ (Summis desiderantes affectibus, 1484) von Innozenz VIII. Diese stammt ursprünglich ebenfalls aus der Feder von unserem fleißigen Hexenjäger Kramer und wurde vom Papst bzw. von dessen Schreibbüro lediglich bestätigt. Die Bulle enthielt die Aufforderung verdächtige Personen ernsthaft zu prüfen und bei bestätigendem Ergebnis zurechtzuweisen, zu inhaftieren und zu bestrafen – nicht aber, sie zu verbrennen! Daher hat die Bulle die Hexenverfolgung eher abgemildert als fanatisiert.
Kirchenrechtlich gesehen hat die Hexenbulle zu keiner Zeit das bestehende Recht des Canon episcopi, der Hexenglaube als Einbildung ablehnte, abgelöst. Der Canon episcopi wurde bei der Kirchenrechtsreform im Jahr 1918 zuletzt aufgeführt. Von der Hexenbulle stand nie ein Eintrag im Kirchenrecht.
Also: Die Katholische Kirche war immer gegen die Hexenverfolgung. Aber wie sahen es die Reformatoren?
Martin Luther hat die Hexenverfolgung befürwortet, denn er war überzeugt von der Möglichkeit des Teufelspaktes, der Teufelsbuhlschaft und des Schadenzaubers und befürwortete die gerichtliche Verfolgung von Zauberern und Hexen. In einer Predigt vom 6. Mai 1526 sagte er über Hexen und Zauberer: „Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“ (2) Calvin verhielt sich in dieser Sache ähnlich.
In diesem Zusammenhang muss aber auch geltend gemacht werden, dass sowohl auf katholischer, wie auch auf protestantischer Seite Theologen gegen die Hexenverfolgung gekämpft haben. Namentlich sind dabei Spee und Laymann, sowie auch Johann Weyer und Anton Praetorius zu nennen.
Vierter Fehler: Der Ort
Insgesamt gesehen liegen die meisten Fälle von Hexenverfolgung nicht in Europa, sondern in Afrika vor. (1) Nach wissenschaftlichen Schätzungen (2001) geht man dort von mehreren tausend Opfern jährlich aus, was hierzulande weitläufig unbekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass für diese Gewaltexzesse kein christlicher Hintergrund vermutet werden kann.
Fünfter Fehler: Das Ende
Die Gegner des Hexenwahns waren Theologen und Juristen gleich welcher Konfession und man muss ihnen anrechnen, dass die Hexenverfolgung bereits Mitte 17. Jahrhundert deutlich zurück ging; also offenkundig vor der Aufklärung im 18. Jahrhundert.
Im Jahr 1631 erschien das Buch Cautio criminalis („Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse“) von dem bereits oben erwähnten Jesuiten Friedrich Spee. In der damals wegweisenden Schrift gab Spee entgegen der damaligen Rechtsauffassung als erster zu bedenken, dass Folter möglicherweise nicht der Wahrheitsfindung diene. Daraus leitete er die damals kühne Vermutung her, verdächtigte Frauen seien womöglich unschuldig, obwohl sie unter Folter ihre Schuld gestanden hatten. Friedrich von Spee war übrigens katholisch.
Fazit
Wie kommt es aber, dass ein Satz mit fünf Fehlern zum „Basiswissen“ des „aufgeklärten“ Deutschen gehört? Die mittelalterlichen Hexenmärchen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sie sind das Werk eifriger Kirchengegner der Aufklärung und späterer Epochen.
Der französischen Romanautor „Etienne Leon de Lamothe-Langon“ beispielsweise schreibt 1829 in seinem Werk: „Histoire de l’Inquisition en France “ von Massenprozesse und -hinrichtungen im Zuge der Hexenverfolgung im Frankreich des 14. Jahrhunderts. Diese Lügengeschichten wurden dann von später von weiteren Autoren unkritisch übernommen. Erst im Jahr 1975 wurde von Norman Cohn und Richard Kieckhefer gezeigt, dass diese Beschreibung nicht auf einer gewissenhaften Auswertung der Kirchenarchive der Diözese Toulouse beruhen, sondern frei erfunden waren. (3)
Es wäre daher wohl an der Zeit, dass nun auch die Medienvertreter die Ergebnisse der Geschichtswissenschaften zur Kenntnis nehmen und deren Inhalte inhaltsgetreu publizieren, um endlich die Tradierung dieser Horrorgeschichten an den Stammtischen zu verbrennen – nein, zu beenden.
Quellen:
1: Richard Schröder, Abschaffung der Religion – Freiburg 2008
2: Wikipedia
3: Jenny Gibbons , http://www.draeconin.com/database/witchhunt.htm