Die Würde der Mutter, die Würde der Frau

Meine lieben Brüder und Schwestern,

da heißt es in der Epistel, aus dem Galaterbrief: „Wir, meine Brüder, sind wie Isaak Kinder der Verheißung. Aber wie damals der nach dem Fleische Geborene den nach dem Geiste Geborenen verfolgte, so ist es auch jetzt. Doch was sagt die Schrift? „Verstoße die Magd mit ihrem Sohne; denn der Sohn der Magd soll nicht Erbe sein neben dem Sohn der Freien“. So sind auch wir, meine Brüder, nicht Kinder der Magd, sondern Kinder der Freien auf Grund der Freiheit, die uns Christus geschenkt hat.“

Daran wollen wir anknüpfen, um unser Thema fortzusetzen: die Würde der Mutter, die Würde der Frau, die Bedeutung der Mutter. Wir müssen gerade, da wir im Gebet und im Geiste den großen Umschwung vorbereiten, welcher der Kirche wieder ihr Gesicht gibt und sie wieder erkennbar macht, wir müssen – gerade wir! – die Fehler sehen, die in der Vergangenheit geschehen sind, vor allem auf der Ebene der seelsorglichen Praxis, Fehler, die mit die Bedingung dafür geschaffen haben, daß vor etwa zwanzig Jahren das Verderben und die Katastrophe in den Innenraum der Kirche einbrechen konnte. Es wäre völlig falsch zu sagen, „alles, was früher war, war durchweg richtig, grundsätzlich richtig gehandhabt worden“. Das ist nicht wahr. Gerade, wenn man an die Frau und Mutter denkt, da wurde der Unsinn erzählt, es gelte für den Christen das Wort „Er soll dein Herr sein“. – Christus ist gerade gekommen, um dieses Wort aufzuheben und auszuradieren! Es gilt ja gerade seit Christus und durch Christus nicht mehr! Auch im Epheserbrief die berühmten Passagen, die bei der Trauungsmesse vorgelesen werden, sind nicht in dem Sinne einer Herrschaft des Mannes zu verstehen. Wenn da der hl. Paulus sagt: „Die Frauen seien den Männern untertan, wie die Kirche Christus untertan ist“, dann ist das ein ganz anderes Untertan-Sein, nämlich ein Untertan-Sein in der Liebe! Lieben heißt dienen, geliebt werden heißt herrschen! Und zwischen zwei Liebenden beruht das auf völliger Gegenseitigkeit.

Christus sagt von Sich, daß Er umhergehen wird, um uns zu bedienen. Er sagt: „Ich bin nicht gekommen, Mich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“ Gerade Er ist ja Mensch geworden, um die Menschheit zu Seiner Höhe emporzuführen! Denn „Er soll dein Herr sein“, das bezieht sich ja zunächst auf Gott. Dadurch, daß sich die Menschen Gott verweigerten, um zu sein wie Gott aus eigener Kraft, gerade deshalb gerieten sie unter Gott, fielen sie aus der Partnerschaft mit Gott heraus; und Gott war Herr, und die Menschen Knechte und Mägde Gottes. Gerade das ist ja aufgehoben worden durch Christus! Der Mann aber ist Sinnbild Gottes und die Frau Sinnbild der Menschheit und der Schöpfung. Und wie durch Christus die Menschheit wieder auf die Höhe Gottes geführt wird, so ist durch Christus die Frau wieder auf die Höhe des Mannes geführt worden. Das Wort „Er soll dein Herr sein“ ist aufgehoben.Würde es noch gelten, wir wären bis zur Stunde nicht erlöst! Es führt kein Weg daran vorbei. Wir können uns das nicht oft genug sagen: Die Frau ist als Frau, in ihrer Fraulichkeit, in ihrer Mütterlichkeit dem Manne völlig ebenbürtig und hat ihm nicht, in keiner Weise, um nichts zu gehorchen! Männer, die einen Gehorsamsanspruch an ihre Frau stellen und das an sich selber bemerken, haben mal wieder einen Stoff für die nächste Beichte bzw. Generalbeichte.

Ebenbürtigkeit: dies ist das Gegenteil von Gleichmacherei. Die Frau ist nicht dem Manne gleich, sie ist anders; und in ihrem Anders-Sein ebenbürtig, gleichwertig, groß, königlich. Christus ist gekommen, um die Frau zu bestätigen, zu krönen. In Maria sind alle Frauen und Mütter und Jungfrauen gekrönt, zu Königinnen erhoben worden. Und es ist die Aufgabe des Mannes, in seinen Kindern die Ehrfurcht vor der Frau zu wecken. Wenn er sich als Herr aufspielt und seine Frau wie eine Magd behandelt, versündigt er sich an seinen Kindern, versündigt er sich an seiner Frau und an seiner eigenen Aufgabe. Ebenbürtigkeit bedeutet sehr viel. Und wir werden das nächste Mal über Fragen des Zwischenmenschlichen und der Zweisamkeit besonders reden. Nun aber die Mutter. Sehen Sie, man hat die Frau tatsächlich sehr herabgesetzt, weil man auch das von der Erziehung nicht begriffen hat. Was weithin unter Erziehung verstanden wird, das ist relativ wenig.
Da ist das Ziehen – gehört auch dazu, ich habe schon oft darüber gesprochen –, aber es ist notwendig, das sehr genau auseinanderzuhalten. Wenn ich Kindern beibringe, daß sie einen Diener machen bzw. einen Knicks, daß sie anständig die Hand geben, daß sie nicht schmatzen und nicht schlürfen usw., usw., dann ist das keine Erziehung, sondern ein Ziehen. Ein Kind, welches diese Anstandsregeln, Regeln des Umgangs mit dem anderen Menschen und das Verhalten nicht beherrscht, ist nicht etwa un-er-zogen, sondern un-ge-zogen. Die Er-ziehung ist wesentlich mehr. Erziehung ist, um mit Kierkegaard zu sprechen, Existenzmitteilung, Daseinsmitteilung; und das heißt: Mitteilung einer eigenen Begeisterung! Und das ist nur möglich im Gespräch. Und sehr früh schon, beim ganz, ganz kleinen Kind, beginnt das Erziehen in das Ziehen einzufließen, und zwar immer stärker bis schließlich die Erziehung das Ziehen ablöst.

Es ist wichtig, daß die Mutter um ihre eigene Würde weiß. Die Frau ist kraft ihrer Natur Repräsentantin der Schöpfung. Das Weibliche ist die Basis der ganzen Schöpfung. Auch im geschaffenen Manne ist das Weibliche das Fundament seines Daseins. Das Weibliche ist das Allgemeine, das Menschheitliche, Volkliche. Und darum ist die Frau mit den Geheimnissen der Schöpfung, mit den Geheimnissen des Lebens besonders stark vertraut, d.h. überhaupt mit den Geheimnissen. Die Frau ist auf das Unaussprechliche bezogen. Das hat man so platt ausgelegt in dem Sinn, die Frau wäre mehr für das Gefühl, und der Mann mehr für den Verstand. Das ist natürlich kompletter Unsinn! Aber mit dieser Vorstellung ist die Frau jahrhundertelang erniedrigt worden. Die Frau ist so ein Gefühlsbündel in der Vorstellung der Menschen. Die Frau weint zum Beispiel, der Mann weint nicht – eine etwas idiotische, pseudopreußische Vorstellung, die sich sehr lange eingefressen hat: Ein Mann darf nicht weinen, ein Mann darf keine Gefühle zeigen, ein Mann ist ein dürrer Reiter des Verstandes und läßt keine Gefühle aufkommen; und die Frau ist butterweich und nachgiebig und gutmütig und ist ein einziges wogendes Meer von Gefühlen. – Ein vollkommener Unsinn! Der Mann ist genauso ein Gefühlsmensch wie die Frau; und die Frau ist genauso verstandesbegabt wie der Mann. Aber die Frau hat eine spezifische Eigenart ihres Geistes, nämlich eine Bezogenheit ins sogenannte „Intuitive“, d.h. sie ist besonders fähig, das Unaussprechliche wahrzunehmen, das Geheimnis geistig zu fassen. Und darum ist sie mit dem All tief verwandt. Sie hat eine Fähigkeit der zusammenfassenden Schau, einer Erkenntnis der Zusammenhänge und ist von daher besonders in der Lage, ratgebend beizustehen. Das Ratgeben ist das Gebären des Geistes. Darum ist die Frau Ratgeberin, mütterliche Ratgeberin ihres Mannes. Und auch der Mann sollte in seiner Frau das Mütterliche suchen und im Mütterlichen seiner Gemahlin Berge und Halt suchen und finden.

Wenn der Mann so seiner Frau begegnet, die Frau in der Männlichkeit des Mannes und der Mann in der Mütterlichkeit der Frau Halt finden, dann ist eine Atmosphäre geschaffen gemeinsamer Begeisterung, wenn beide gepackt sind von den großen Gegenständen, die über den Tag hinausweisen. Und wenn Begeisterung da ist, dann ist die Atmosphäre gegeben, in der die Kinder gedeihen. Atmosphäre ist alles. Wenn die Atmosphäre da ist, können sie tausend Fehler begehen. Wenn keine Atmosphäre da ist, können sie soviele pädagogische Zeitschriften studieren, wie sie wollen: es nutzt nichts; dann mögen sie noch so sehr nach dem neuesten psychologischen Schrei vorgehen: Wo Du nicht begeistert bist, spürt man Dir keine Begeisterung an und es nutzt alles nichts!

Wenn übrigens der hl. Paulus sagt: „Die Frau schweige in der Kirche“, meint er genau dies: Die Frau ist die Walterin des Schweigens. Und wenn sie redet, redet gerade die Frau aus dem wissenden Schweigen heraus, weil sie auf das Unaussprechliche hingeordnet ist. Der Mann nimmt das wahr. Und der Mann bringt das Unaussprechliche wie ein Bräutigam zum Ausdruck. Deshalb gestaltet der Mann das, was er von der Frau vernimmt. Beispielsweise in der Musik ist es auffällig, daß es sehr viele Dichterinnen, Romanschreiberinnen gibt, aber keine Komponistinnen. Die Frau selber ist Musik. Sie ist in ihrer Subjektivität selber Musik. Und der Mann nimmt es auf und spiegelt es zurück. Die Frau ist spiegelnder Bronnen. Aus ihr schöpft der Mann Leben, und er spiegelt sich und findet sich in ihr, in dem Schoße ihres Geistes bestätigt.

Das macht die Größe der Frau aus. Ich kann natürlich in dem Rahmen einer Predigt nur in kurzen Andeutungen reden. Es ist ein großer Irrtum zu meinen, die Größe des Geistes hänge ab von irgendeinem nachweisbaren Studium oder von einem akademischen Titel. Von daher kommt die hektische Sucht vieler Frauen heute, unbedingt auch irgendetwas nachweisen oder aufweisen zu sollen in dieser Beziehung. Es ist durchaus der Erwägung wert, und es ist möglicherweise notwendig, daß viele Frauen auch eine Berufsmöglichkeit erwerben für den Fall, daß sie alleinstehen. Das ist in unserer heutigen Gesellschaft weithin unumgänglich. Es ist nur ein Irrtum zu meinen, davon hinge ihre Ebenbürtigkeit ab! Das ist ein großer, ein verbreiteter Irrtum. Ganz und gar nicht. Geist, der ist überall zu haben, wenn er verstanden wird von sich selbst und geweckt wird von dem, der gekommen ist, des Geistes ansichtig zu werden und im Erkennen des Geistes den Geist zu wecken. Denn der Geist wird geweckt, wenn er erkannt wird. Das ist eine Sache, die sich durch alle Schichten hindurchzieht. Es kann einer drei Doktortitel haben und zweimal habilitiert sein – und doch, bei aller Spezialbegabung, dumm! Und es kann einer mit bloßer Grundschulbildung ein Mann der Bildung bzw. eine Frau der Bildung und des Geistes sein. Die Vorstellung, Geist hinge vom Umfang des Wissens ab, ist sehr töricht. Ein gewisses Wissen gehört dazu, aber ein Wissen, das aus Eros, aus Liebe gewonnen wird, nicht etwa krampfig, um auch mitreden zu dürfen, zweck-haft – sondern zweck-los. Bildung ist in dem Maße Bildung, wie sie zweck-los erworben ist. Wer sie erwirbt, um etwas zu gelten, um etwas vorweisen zu können oder um Karriere zu machen oder um mitreden zu können, um in der Diskussion mithalten zu können, der kann auswendig ganze Enzyklopädien und Lexika mit sich herumschleppen und ein Muster von Gedächtnis sein und auf alles eine komplette Antwort geben: Er ist ungebildet bis in die Fußzehen! Sein ganzes Wissen nutzt nicht. Bildung ist Eros.

Das sollte man wissen. Und heute weiß man es nicht mehr. Es ist ein Trauerspiel zu sehen, wie die Kinder weithin ohne die Mütter aufwachsen, ohne das Gespräch mit den Müttern, ohne die Zärtlichkeit, die Nähe, den Austausch mit der Mutter, weil die Mutter wähnt, sie wäre erst etwas, wenn sie irgendeinen Berufsstatus habe. Das ist ein furchtbarer, für die Kinder tödlicher Wahn! Die Größe der Frau liegt im Mütterlichen, nicht etwa im Kochtopf, im Herd, daß sie Hausfrauenarbeit vollzieht – das hängt damit zusammen, daß sie das Heim hütet und heimische Berge schafft –, aber ihr Wert besteht im Mütterlichen! Und es gibt nichts Größeres und Geistigeres auf der Welt als das Mütterliche! Von nichts wird geistig die Mutterschaft übertroffen – erreicht vom Priesterlichen, übertroffen von nichts!

Pfarrer Hans Milch, 1980