Worüber man nicht spricht

Man spricht nicht mehr oder nur sehr verhalten in der Katholischen Kirche in Deutschland über Verhütung, In- Vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung), Abtreibungstötung, Pränatal- Diagnostik (Vorgeburtliche Untersuchungen, vielfach mit Todesfolge), Sterilisation, Hirntod/Organspende, Patientenverfügung und Euthanasie/ Sterbehilf e u.a.

Dennoch oder gerade diese Themen bewegen, verwirren und verunsichern viele Menschen. Darf man, oder darf man nicht oder ist es gar ein Akt christlicher Nächstenliebe, z.B. seine Organe zu spenden? Eine Frage, die derzeit politisch äußerst aktuell ist.

„Pille danach“

Ich möchte ein anderes Beispiel anführen: Da bedauern Ärzte in katholischen Krankenhäusern, die „Pille danach“ wegen ihrer abtreibenden Wirkung nicht selber verschreiben zu dürfen und verweisen Frauen in die Notfall-Ambulanz im gleichen Haus, wo diese anstandslos das Präparat bekommen können. So geschehen in katholischen Krankenhäusern in Köln.

Künstliche Befruchtung

Zu dieser Frage ist der Papst „Rufer in der Wüste“ – auch innerhalb der Kirche – wenn er bei der 18. Generalversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben Ende Februar 2012 zur künstlichen Befruchtung sagte: „In der Tat ist die Verbindung von Mann und Frau in der Gemeinschaft der Liebe und des Lebens, sprich der Ehe, der einzig würdige Ort, um neues menschliches Leben zu zeugen, das immer ein Geschenk ist.“ Das interessiert offenbar niemand mehr, oder haben wir da etwas übersehen oder überhört? Die Erzeugung von Menschen im Reagenzglas geschieht heute auch in katholischen Krankenhäusern und wird ganz selbstverständlich von katholischen Christen in Anspruch genommen.

Organtransplantation

Leider hört man zu den Themen am Lebensende aus der deutschen Katholischen Kirche wenig Hilfreiches. Einzig Bischof Algermissen, Fulda, wagte es in einem Gastkommentar in der Fuldaer Zeitung und in Die Tagespost, das der Organspende zugrundeliegende Hirntod-Konzept mit medizinisch – wissenschaftlichen Fakten in Zweifel zu ziehen. Nur seine Folgerung, daß jeder selbst „entscheiden“ müsse, ob er auf dem OP-Tische „verstorben wird“, ist mit theologischen und moralischen Grundsätzen unseres Glaubens nicht vereinbar. Aber vielleicht hat er das Problem noch nicht zu Ende gedacht. Sein Vorstoß ist soweit zu begrüßen und mutig, gerade weil von Seiten der Deutschen Bischofskonferenz eine anderslautende Stellungnahme existiert.

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Quelle: Aktion Leben, Rundbrief 2/2012

Kurze Erzählung vom Antichrist (13): Das Ende der Welt

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Das Ende der Welt

Zur gleichen Zeit aber beten und fasten die wahren Christen auf den öden Höhen um Jericho. Doch am Abend des vierten Tages machten sich im Schutze der Dunkelheit Professor Pauli und neun seiner Gefährten, auf Eseln und von einem Gefährt begleitet, nach Jerusalem auf. Auf Seitenwegen umgingen sie den Charam-esch-Scherif und gelangten so unbemerkt vor den Eingang der Auferstehungskirche, wo die Leichen des Papstes Petrus und des Vaters Johannes auf der Straße ausgestellt lagen.

Zu dieser Stunde war die Straße menschenleer, denn die ganze Stadt hatte sich zum Charam-esch-Scherif begeben. Die Soldaten, die die Leichen bewachen sollten, lagen in tiefem Schlaf. Als Pauli und seine Gefährten an die Leichen herantraten, stellten sie verwundert fest, daß diese nicht in Verwesung übergegangen, ja, sogar nicht einmal erkaltet waren. Man hob sie auf Tragbahren, bedeckte sie mit mitgebrachten Tüchern und kehrte auf denselben Umwegen zu den Brüdern zurück.

Kaum aber hatten sie dort die Bahren auf die Erde abgestellt, als die beiden Toten wieder zum Leben erwachten, sich bewegten und bemüht waren, die Tücher abzustreifen, in die man sie gehüllt hatte. Alle suchten ihnen unter Freudenrufen zu helfen, und bald standen die beiden vom Tode Erweckten frisch und gesund vor ihnen.

Der greise Vater Johannes sprach als erster die folgenden Worte: „Nun seht doch, ihr Kindlein, so haben wir uns also gar nicht verlassen. Höret aber, was ich euch jetzt zu sagen habe: Die Stunde ist da, um das letzte Gebot Christi an seine Jünger zu erfüllen: daß sie eins sein möchten, wie Er und der Vater eins sind. Um dieser Einsicht in Christo willen, laßt uns jetzt. Kindlein, unseren geliebten Bruder Petrus ehren: Er soll zuletzt noch die Lämmer Christi weiden. Brüder, so soll es sein!“ Und er umarmte Petrus. — Da trat auch Professor Pauli auf den Papst zu und bekannte: „Tu es, Petrus. – Jetzt ist es ja gründlich erwiesen und außer jedem Zweifel!“

Er drückte ihm mit seiner Rechten fest die Hand, die Linke aber reichte er dem Vater Johannes mit den Worten: „So also, Väterchen — nun sind wir ja eins in Christo!“ So vollzog sich hier, in dieser finsteren Nacht und auf dieser einsamen Höhe, die Wiedervereinigung zur Einen Kirche.

Doch plötzlich wurde die Nacht von einem strahlenden Lichte erhellt und am Himmelszelt erschien ein großes Zeichen: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, unter ihren Füßen die Mondsichel und auf ihrem Haupte einen Kranz von zwölf Sternen. Die Erscheinung blieb einige Augenblicke stehen, dann zog sie langsam nach Süden. Da erhob Papst Petrus seinen Hirtenstab und rief aus: „Dies sei unser Banner! Laßt uns ihm folgen!“
Begleitet von den beiden Ältesten und gefolgt von der Schar der Christen, ging er der Erscheinung nach, dem Berge Gottes zu, nach dem Sinai.

Nachdem die geistigen Führer und Vertreter der Christenheit in die Arabische Wüste gegangen waren, wohin dann aus allen Ländern Scharen gläubiger Bekenner der Wahrheit ihnen folgten, konnte der falsche Papst Apollonius durch seine Wunder und Zaubereien ungehindert alle übrigen oberflächlichen Christen, die sich noch nicht über der Antichristen ernüchtert hatten, verderben. Er erklärte, er habe kraft seiner Schlüsselgewalt die Pforten zwischen dem Diesseits und dem Jenseits geöffnet, und tatsächlich wurde der Umgang von Lebenden mit Toten, sogar zwischen Menschen und Dämonen, ein alltägliches Schauspiel. Alsbald entwickelten sich daraus neue unerhörte mystische und dämonische Ausschweifungen.

Kaum jedoch glaubte der Imperator, sich nun auch auf religiösem Gebiet sicher fühlen zu dürfen, als er sich unter den drängenden Einflüsterungen jener geheimnisvollen „väterlichen“ Stimme zur einzigen und wahrhaften Verkörperung der höchsten Weltgottheit erklärte.

In diesem Augenblick brach ein neues Unheil über ihn herein, und zwar von einer Seite, von der es niemand erwartet hätte: Die Juden erhoben sich gegen den Imperator.

Dieses Volk, das nunmehr die Zahl von dreißig Millionen erreicht hatte, war an der Vorgeschichte sowie an der Festigung des Welterfolges dieses Übermenschen nicht ganz unbeteiligt. Als der Imperator in Jerusalem seine Residenz aufschlug, hatte er unter den Juden das Gerücht verbreiten lassen, es sei sein letztes Ziel, auf der ganzen Erde die Herrschaft Israels aufzurichten. Von diesen Einflüsterungen bewogen, hatten die Juden ihn als Messias anerkannt und ihm ihre begeisterten und grenzenlosen Huldigungen dargebracht.

Plötzlich aber erhoben sie sich zornentbrannt und riefen zur Rache auf. Diese völlige und so unerwartete Umkehr ist jedoch in der Heiligen Schrift vorausgesagt und durch die Überlieferung wach gehalten worden. Sie wurde durch die zufällige Entdeckung ausgelöst, daß der Imperator, den die Juden bis dahin für einen reinblütigen und treuen Israeliten gehalten hatten, nicht einmal beschnitten war. Noch am gleichen Tage flammte der Aufstand in Jerusalem auf und hatte schon vierundzwanzig Stunden später ganz Palästina erfaßt. Die unbegrenzte und glühende Hingabe an den Retter Israels, den verheißenen Messias, verkehrte sich in einen ebenso grenzenlosen wie glühenden Haß gegen den arglistigen Betrüger und frechen Emporkömmling.

Ganz Israel erhob sich wie ein Mann und seine Feinde sahen mit Staunen, daß die Seele Israels im Letzten nicht von den Berechnungen und Begierden des Mammons bestimmt wurde, sondern von der Kraft eines aufrichtigen Herzens, von der Hoffnung und vom Zorn seines uralten Messiasglaubens.

Der Imperator hatte einen so plötzlichen Ausbruch der Leidenschaften nicht erwartet und verlor seine Selbstbeherrschung. Er erließ einen Befehl, der alle aufrührerischen Juden und Christen zum Tode verurteilte. Viele Tausende, ja Zehntausende, die nicht mehr zu den Waffen greifen konnten, wurden ohne Erbarmen getötet. Doch schon nach kurzer Zeit bemächtigte sich ein Millionenheer von Juden der Stadt Jerusalem und schloß den Antichrist im Charam-esch-Scherif ein. Dieser hatte nur einen Teil seiner Garde zur Verfügung, die außerstande war, die Überzahl der Feinde abzuwehren. Doch mit Hilfe der Zauberkünste seines Papstes gelang es dem Imperator, durch die Linien der Belagerer zu entfliehen, und schon bald war er wieder in Syrien als Befehlshaber einer großen Armee von Heiden aller Völker und Rassen.

Trotz ihrer geringen Siegesaussichten traten ihm die Juden entschlossen entgegen. Doch kaum waren die Vorhuten beider Armeen aufeinandergestoßen, als ein furchtbares Beben die Erde erschütterte.

Unter dem Toten Meer, an dessen Ufern das Heer des Imperators Aufstellung genommen hatte, öffnete sich der Krater eines ungeheuren Vulkans. Glühende Lavafluten stiegen auf und flossen zu einem einzigen Flammenmeer zusammen. Es verschlang den Imperator, sein zahlloses Heer und auch seinen unzertrennlichen Begleiter, den Papst Apollonius, dem nun alle magischen Künste nicht mehr helfen konnten. Die Juden aber flohen nach Jerusalem und riefen in Furcht und Zittern den Gott Israels um Rettung an.

Als die heilige Stadt schon vor ihren Blicken lag, spaltete ein gewaltiger Blitz den Himmel von Osten nach Westen. Sie sahen Christus. Bekleidet mit den Insignien der Allmacht, mit ausgebreiteten Händen, auf denen die Wundmale der Nägel leuchteten, schritt er auf sie zu.

In dieser Zeit zog auch die Schar der Christen vom Sinai hinauf nach Zion, geführt von Petrus, Johannes und Paulus. Von allen Seiten strömten ihnen jauchzende Scharen zu: Das waren jene Juden und Christen, die der Antichrist hatte töten lassen.

Sie waren auferstanden und herrschten mit Christus tausend Jahre.

(Ende)

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Demut am falschem Fleck

Woran wir aber heute kranken, das ist Demut am falschen Fleck. Die Bescheidenheit hat das Selbstbewusstsein freigegeben und sich stattdessen der Glaubenskraft bemächtigt, wo sie doch nie etwas zu suchen hatte. Der Mensch sollte an sich selbst zweifeln, aber doch nicht an der Wahrheit.

Das hat sich genau ins Gegenteil verkehrt. Heute ist das, worauf der Mensch beharrt, genau der Teil, auf dem er nicht beharren sollte: er selbst. Und das, woran er zweifelt, ist genau der Teil, an dem er nicht zweifeln dürfte: die Vernunft Gottes.

Huxley predigte eine Demut, die sich damit bescheidet, von der Natur zu lernen. Würden wir also vorschnell behaupten, es gebe keine für unsere Zeit charakteristische Demut, wir wären im Irrtum. Es gibt sie in der Tat, aber wie sich herausstellt, ist dies eine Demut, die in der Praxis vergiftender wirkt als die wildesten Selbsterniedrigungen des Asketen.

Die alte Demut war ein Sporn, der den Menschen vorantrieb, kein Nagel im Schuh, der ihn daran hindert, weiterzugehen. Denn die alte Demut ließ den Menschen an seinen Bemühungen zweifeln und brachte ihn so dazu, sich noch ‚mehr anzustrengen. Die neue Demut hingegen lässt ihn an seinen Zielsetzungen zweifeln und veranlasst ihn damit, seine Bemühungen überhaupt einzustellen.

An jeder Straßenecke trifft man auf Menschen, die so verrückt und blasphemisch sind, zu erklären, sie seien vielleicht im Irrtum. Tag für Tag stößt man auf Leute, die einräumen, sie hätten mit ihrer Ansicht möglicherweise unrecht. Dabei muss ihre Ansicht selbstverständlich die richtige sein, sonst wäre es nicht ihre Ansicht. Wir sind auf dem besten Weg, ein Geschlecht hervorzubringen, das so bescheiden ist, dass es nicht einmal mehr an das Einmaleins glaubt.

Uns drohen Philosophen, die am Gravitationsgesetz zweifeln und den Verdacht hegen, es handele sich dabei um ein bloßes Hirngespinst ihrer selbst. Früher waren die Spötter zu stolz, um sich überzeugen zu lassen; heute hingegen sind sie zu bescheiden, um sich eine Überzeugung zuzutrauen. Den Sanftmütigen und Schwachen gehört die Erde, aber die modernen Skeptiker sind sogar zu schwach, um das, was ihnen gehört, in Anspruch zu nehmen. Genau diese intellektuelle Ohnmacht ist unser zweites Problem.

Aus: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt III: Der Selbstmord des Denkens

Kurze Erzählung vom Antichrist (12): Die Gegenkirche

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Die Gegenkirche

Schon am folgenden Morgen kamen aus Jerusalem bekannte Pilger und berichteten, was sich in Zion zugetragen hatte: Nach der kaiserlichen Tafel wurden alle Mitglieder des Konzils in den Thronsaal gerufen. (Er befand sich in der Nähe jener Stelle, wo der Thron Salomos gestanden haben soll). Dort richtete der Kaiser das Wort an die Vertreter der katholischen Hierarchie und erklärte ihnen, das Heil der Kirche verlange offensichtlich die sofortige Wahl eines würdigen Nachfolgers auf dem Stuhle Petri. Den Zeitumständen angepaßt, müsse diese Wahl auf kurzem Weg erfolgen, doch ersetze seine, des Imperators, Gegenwart als des Führers und Hauptes der christlichen Welt das, was am Ritual unausgeführt bleiben müsse. Daher schlage er im Namen aller Christen dem Heiligen Kollegium vor, seinen geliebten Freund und Bruder Apollonius zu wählen, damit durch das enge Band, das zwischen ihnen bestehe, auch die Einheit von Kirche und Staat zum Wohle aller sich dauerhaft und unzerstörbar gestalte.

Das Heilige Kollegium begab sich nun zum Konklave in ein abgesondertes Gemach und kehrte nach anderthalb Stunden mit dem neuen Papst Apollonius zurück. Während die Wahl des neuen Papstes vor sich ging, hatte der Imperator die Vertreter des Protestantismus und der Orthodoxie in sanften und beredten Worten dazu bewogen, zum Anbeginn dieser neuen und großen Epoche in der Geschichte der Christenheit ihre alten Zwistigkeiten beizulegen. Er hatte sich mit seinem Wort verbürgt, daß Apollonius allen geschichtlichen Mißbräuchen der päpstlichen Gewalt für immer ein Ende bereiten werde.

Durch diese Rede überzeugt, hatten die Vertreter der Orthodoxie und des Protestantismus eine Urkunde über die Vereinigung ihrer Kirchen aufgesetzt. Als nun Apollonius mit den Kardinalen im Thronsaal erschien, überreichten ihm, umbrandet von Freudenrufen, ein griechischer Bischof und ein protestantischer Pastor den Text dieser Urkunde. „Accipio et approbo et laetificatur cor meum“, sprach Apollonius und unterfertigte feierlich das Dokument. „Ich bin ein ebenso auf richtiger Rechtgläubiger und wahrer Protestant wie ich auch ein gläubiger Katholik bin“, fügte er hinzu und umarmte zum Bruderkuß den Griechen und den Deutschen.
Hierauf schritt er auf den Imperator zu, der ihn seinerseits umarmte und lange in seinen Armen hielt.

Zur gleichen Zeit erschienen im Palaste und im Tempel leuchtende Punkte, die sich nach allen Richtungen bewegten. Sie wurden größer und verwandelten sich in Lichtgestalten seltsamer Wesen; Blumen, wie sie bisher noch kein Auge gesehen hatte, regneten hernieder und erfüllten die Luft mit köstlichem Duft. Aus der Höhe erklang eine zarte, die Herzen ergreifende Musik noch nie gehörter Instrumente und engelgleiche Stimmen unsichtbarer Sänger rühmten die neuen Herrscher des Himmels und der Erde.

Währenddessen erhob sich in der Nordwestecke des Palastes, unter dem Kubeth-el-Ruach, unter der Kuppel der Seelen, ein furchtbares unterirdisches Dröhnen. Dort sollte nach der Überlieferung der Muselmanen der Eingang zur Hölle liegen. Auf Wunsch des Imperators begaben sich alle Anwesenden dorthin. Sie vernahmen zahllose feine, aber durchdringende Stimmen, die weder Kindern noch Höllengeistern gehören konnten. Diese riefen: „Die Zeit ist gekommen, befreit uns, Retter, o Retter!“ Doch Apollonius neigte sich zur Erde und rief dreimal etwas in einer unbekannten Sprache hinunter. Da verklangen die Stimmen und das unterirdische Getöse verstummte.
Gleichzeitig war von allen Seiten eine unzählbare Volksmenge um den Charam-esch-Scherif zusammengeströmt. Als die Nacht hereinbrach, zeigte sich der Imperator mit dem neuen Papst auf der östlichen Freitreppe des Palastes.

Sein Erscheinen rief einen Sturm der Begeisterung hervor. Liebenswürdig begrüßte er alle Anwesenden, während Apollonius aus großen Körben, die ihm Kardinale gleich Ministranten nachtrugen, etwas herausnahm und in die Luft warf. Durch Berührung mit seinen Händen entzündeten sich da prächtige romanische Kerzen, Raketen und Feuerfontänen. Sie erstrahlten bald in phosphoreszierendem Perlenglanze, bald in den leuchtenden Farben des Regenbogens. Dies alles aber verwandelte sich, sobald es zur Erde fiel, in unzählige bunte Flugblätter, die mit vollkommenen Ablässen für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden bedruckt waren. Der Jubel des Volkes war grenzenlos.

Zwar behaupteten einige, sie hätten gesehen, wie diese Ablaßblätter sich in abscheuliche Kröten und Schlangen verwandelten, aber die gewaltige Mehrheit ließ sich von Begeisterung betäuben. Das Volksfest dauerte noch mehrere Tage. In dieser Zeit vollbrachte der neue Wundertäter und Papst so außerordentliche und unwahrscheinliche Zaubereien, daß es vergeblich wäre, sie alle erzählen zu wollen.

(Fortsetzung folgt)

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Kurze Erzählung vom Antichrist (11)

(Fortsetzung: Der große Abfall – zurückweiter)

Er schwieg und bohrte seinen Blick in die Augen des Imperators.

Wie in jener schicksalsschweren Nacht erhob sich nun im Imperator ein höllischer Sturm, der ihm jede Herrschaft über seine Seelenkräfte nahm. Mit übermenschlicher Anstrengung suchte er, die äußere Selbstbeherrschung nicht zu verlieren und sich nicht vorzeitig zu verraten. Es kostete ihn ungeheure Mühe, sich zurückzuhalten und nicht mit einem wilden Aufschrei sich auf den Redner zu stürzen, der eben gesprochen hatte, um ihn mit seinen Zähnen zu zerfleischen. Da plötzlich hörte er eine ihm wohlbekannte überirdische Stimme: „Schweige, und fürchte nicht!“ Er schwieg, nur sein leichenstarres, verfinstertes Gesicht verzerrte sich in wildem Schmerz und seine Augen sprühten Funken.

Während der Worte des Vaters Johannes hatte sich der große Magier, der dasaß, den Kardinalspurpur ganz verdeckt unter dem weiten, dreifarbigen Mantel, irgend etwas unter dessen Falten zu schaffen gemacht. Seine Augen starrten in kaltem Glanze geradeaus und seine Lippen bewegten sich. Durch die geöffneten Fenster des Tempels sah man eine große schwarze „Wolke heraufziehen, die urplötzlich alles in Dunkel hüllte. Der greise Vater Johannes, der die ganze Zeit über unverwandt erstaunt und erschrocken den schweigenden Imperator angeblickt hatte, wich auf einmal entsetzt zurück, wandte sich den Seinen zu und rief mit erstickter Stimme: „Kindlein — es ist der Antichrist!“

Im selben Augenblick erdröhnte ein betäubender Donnerschlag, ein furchtbarer Kugelblitz zuckte auf, der sprühend den Greis umflammte. Alles war wie gelähmt. Als die Christen wieder aus der Betäubung zu sich kamen, lag Vater Johannes tot da.

Bleich, aber ruhig, wandte sich der Imperator von neuem an das Konzil: „Ihr habt selbst das Gottesgericht gesehen. Ich wollte niemandes Tod, doch mein himmlischer Vater rächt seinen geliebten Sohn. Die Frage ist entschieden. Wer wagt es noch, mit dem Höchsten zu rechten? — Sekretäre, schreibt: Nachdem Feuer vom Himmel einen wahnsinnigen Feind der göttlichen Majestät zerschmettert hat, beschließt nunmehr einstimmig das ökumenische Konzil der Christen aller Bekenntnisse, den gegenwärtigen römischen Imperator, den Beherrscher der Welt, als seinen obersten Führer und Herrn anzuerkennen.“

Da widersetzte sich plötzlich eine klare Stimme, die durch den mächtigen Tempel hallte: „Contradicitur.“ Papst Petrus II. hatte sich erhoben und in heiligem Zorn bebend hob er seinen Bischofsstab gegen den Imperator:
„Unser einziger Herr ist Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Wer Du aber bist, hast Du soeben gehört. Hebe Dich hinweg, Du Brudermörder Kain! Weiche von hinnen. Du Werkzeug des Satans! Durch die mir von Christus verliehene Gewalt und als Knecht der Knechte Gottes schließe ich Dich räudigen Hund auf ewig aus Gottes Kirche aus und übergebe Dich Deinem Vater, dem Satan. – Anathema, Anathema, Anathema!“

Noch während der feierlichen Bannworte des Papstes hatte sich der große Magier unruhig unter seinem weiten Mantel bewegt. Lauter noch als das letzte „Anathema“ krachte ein Donnerschlag und der letzte Papst stürzte leblos zu Boden.

„So werden durch die Hand meines Vaters alle meine Feinde gefällt werden“, rief der Imperator. „Pereant! Pereant!“ bekräftigten die bebenden Kirchenfürsten.

Der Imperator wandte sich um und verließ langsam, auf die Schulter des großen Magiers gestützt, durch die Pforte hinter der Tribüne den Tempel. Ihm folgten seine Anhänger. Im Tempel blieben nur die beiden Toten zurück, um sie eine dichtgedrängte Schar von Menschen, die vor Schrecken halbtot waren. Der einzige unter ihnen, der seine Fassung nicht verloren hatte, war Professor Pauli. Das allgemeine Entsetzen schien vielmehr alle Kräfte seines Geistes geweckt zu haben. Auch äußerlich ging mit ihm eine Änderung vor. Sein Antlitz nahm einen erhabenen und verklärten Ausdruck an. Mit sicheren Schritten betrat er die Tribüne, setzte sich auf einen der leeren Plätze der Staatssekretäre, nahm einen Bogen Papier und begann darauf zu schreiben.

Als er damit geendet hatte, erhob er sich und verlas mit lauter Stimme: „Zum Ruhme unseres einzigen Erlösers Jesus Christus! Nachdem unser allerseligster Bruder Johannes, das Haupt der östlichen Christenheit, den großen Betrüger und Gottesfeind entlarvt und als den in der Heiligen Schrift vorausgesagten Antichrist erwiesen hat, ferner, nachdem unser allerseligster Vater Petrus, das Haupt der westlichen Christenheit, ihn, den Antichrist, in aller Form und gemäß dem Gesetz aus der Kirche Gottes ausgestoßen hat, beschließt das in Jerusalem versammelte ökumenische Konzil feierlich und angesichts der Leichname dieser beiden Zeugen Jesu Christi, hinfort jeder Gemeinschaft mit dem Verfluchten und seiner nichtswürdigen Anhängerschaft abzusagen, in die „Wüste zu gehen und dort die bevorstehende Wiederkunft unseres wahren Herrn und Heilands, Jesus Christus, zu erwarten.“

Da ergriff heilige Begeisterung die Versammelten, die laut in den Ruf ausbrachen: „Adveniat, adveniat cito! Komm, Herr Jesus, komm!“ Professor Pauli setzte noch etwas schriftlich hinzu und verlas hierauf diesen Nachsatz: „Nachdem wir einstimmig den ersten und letzten Beschluß des ökumenischen Konzils gefaßt und angenommen haben, unterschreiben wir …“ Hier forderte er mit einer Handbewegung die Anwesenden auf, die Urkunde zu unterfertigen und alle beeilten sich, dies zu tun. An letzter Stelle unterschrieb er selbst mit großen gotischen Schriftzeichen: Duorum defunctorum testium locum tenens — Ernst Pauli.

Dann, auf die beiden Toten weisend, sagte er: „Jetzt aber laßt uns aufbrechen mit unserer Bundeslade des letzten Testaments.“ Die heiligen Leichname wurden auf Bahren gelegt und unter dem Gesang lateinischer, deutscher und kirchen-slawischer Hymnen schritten die Christen feierlich dem Ausgang des Tempels zu.

Dort stieß der Zug auf einen Beauftragten des Imperators, einen Staatssekretär, der von einer Gardeabteilung, mit einem Offizier an der Spitze begleitet war. Soldaten besetzten den Ausgang, während der Offizier von erhöhtem Orte aus folgende Anordnung verlas:

„Befehl Seiner göttlichen Majestät! Um das Christenvolk aufzuklären und es vor böswilligen Unruhestiftern zu bewahren, haben wir beschlossen, die Leichen der beiden Aufrührer, die durch Feuer vom Himmel herab getötet wurden, in der ‚Straße der Christen‘ (Charet-en-Nasara) beim Eingang zur Hauptkirche dieser Religion, die Grabes- oder auch Auferstehungskirche genannt wird, öffentlich auszustellen, so daß jedermann sich von ihrem Ende mit eigenen Augen überzeugen kann. Ihre halsstarrigen Anhänger aber, die böswillig alle unsere Wohltaten zurückweisen und in Verblendung die klaren Offenbarungen der Gottheit nicht sehen wollen, werden durch unsere Barmherzigkeit und dank unserer Fürbitte bei unserem himmlischen Vater vor dem wohlverdienten Tod durch das Feuer vom Himmel bewahrt. Sie behalten voll und ganz ihre Freiheit, nur wird ihnen im Interesse des Allgemeinwohles verboten, in Städten und anderen Siedlungen zu wohnen, damit sie nicht unschuldige und einfache Leute mit ihren hinterhältigen Lügen verwirren und verführen können.“

Als der Offizier geendet hatte, traten auf sein Zeichen acht Soldaten an die Bahren der Toten. „Ja, es möge sich die Schrift erfüllen“, sagte Professor Pauli, und die Christen, welche die Bahren trugen, überließen diese schweigend den Soldaten, die sich durch das nordwestliche Tor entfernten.

Die Christen durchschritten das Tor im Nordosten und verließen rasch die Stadt. Am Ölberg vorbei suchten sie auf der großen Straße, die schon vorher von Gendarmerie und zwei Regimentern Kavallerie von Ansammlungen Neugieriger gesäubert war, Jericho zu erreichen. Auf den einsamen Hügeln von Jericho beschlossen die Christen, einige Tage zu verweilen.

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Kurze Erzählung vom Antichrist (10)

(Fortsetzung: Der große Abfall – zurückweiter)

Dabei wies er auf die leeren Plätze der Tribüne.

Mit freudigen Ausrufen „Gratias agimus, Domine! Saivum fac magnum imperatorem …“ stiegen fast alle Fürsten der katholischen Kirche, Kardinäle und Bischöfe, die Mehrzahl der gläubigen Laien und mehr als die Hälfte der Mönche auf die Tribüne, verbeugten sich dort tief vor dem Imperator und nahmen die für sie bereitgehaltenen Sitze ein. Doch unten, inmitten der Versammlung, blieb Papst Petrus II. sitzen, aufrecht und unbeweglich wie eine Marmorstatue. Alle, die ihn umgeben hatten, saßen jetzt auf der Tribüne. Die gelichtete Menge der Mönche und Laien, die unten geblieben war, näherte sich ihm und umgab ihn in einem dichten Kreis, aus dem verhaltene Rufe laut wurden: „Non pracvalebunt, non praevalebunt portae inferni!“

Der Imperator blickte erstaunt den in unbeweglicher Ruhe verharrenden Papst an. Von neuem erhob er seine Stimme: „Liebe Brüder! Ich weiß wohl, daß es einige unter Euch gibt, für die das Teuerste im Christentum die heilige Überlieferung, die alten Symbole, die alten Hymnen und Gebete, die Ikonen und die Liturgie sind. Und in der Tat: Was kann einer frommen Seele teurer sein als diese?

Vernehmet, Geliebte, daß ich heute eine Urkunde unterschrieb und reiche Mittel aussetzte für die Errichtung eines Weltmuseums der christlichen Archäologie in unserer ruhmreichen Kaiserstadt Konstantinopel. Dort sollen die Denkmäler des kirchlichen Altertums und besonders der Ostkirche gesammelt, erforscht und aufbewahrt werden. Euch aber bitte ich, morgen aus Eurer Mitte eine Kommission zu wählen, die mit mir jene Maßnahmen prüfen soll, die geeignet erscheinen, die Sitten und Gebräuche des modernen Lebens soweit als möglich den Überlieferungen und Vorschriften der heiligen orthodoxen Kirche anzugleichen.

Meine Brüder aus der Orthodoxie! Alle, die im Herzen den gleichen Wunsch hegen wie ich, alle, die mich aufrichtig ihren Führer und Herrn nennen können, mögen zu mir heraufsteigen.“

Die meisten der Hierarchen des Ostens und Nordens, die Hälfte der einstigen Altgläubigen, mehr als die Hälfte aller orthodoxen Priester, Mönche und Laien bestieg daraufhin mit Freudenrufen die Tribüne, nicht ohne heimliche Seitenblicke auf die Katholiken, die dort schon stolz Platz genommen hatten. Vater Johannes aber seufzte tief auf, ohne sich von der Stelle zu rühren. Als die Schar um ihn sich stark gelichtet hatte, verließ er seinen Sitz und setzte sich in die Nähe des Papstes Petrus und seines Anhanges. Ihm folgten auch die anderen Orthodoxen, die nicht auf die Tribüne gegangen waren.

Neuerlich ergriff der Imperator das Wort: „Ich kenne auch solche unter Euch, liehe Christen, denen im Christentum die persönliche Überzeugung von der Wahrheit und die freie Erforschung der Heiligen Schrift über alles geht. Was ich selbst davon halte, muß ich wohl nicht betonen. Denn Ihr wißt vielleicht, daß ich schon in meiner Jugend ein großes Werk über die Bibelkritik veröffentlicht habe, das damals Aufsehen erregte und meinen Ruhm begründete. In Erinnerung daran hat mich wahrscheinlich auch dieser Tage die Universität Tübingen gebeten, von ihr die Würde eines Ehrendoktors der Theologie anzunehmen. Ich habe antworten lassen, daß ich diese Ehrung mit Freude und Dank annehme.

Heute aber habe ich zugleich mit der Gründung des Museums für das christliche Altertum auch die Errichtung eines Weltinstitutes zur freien Erforschung der Heiligen Schrift beschlossen.

Dieses Institut wird die Heilige Schrift nach allen nur möglichen Richtungen und von allen Gesichtspunkten aus durchforschen und den dazu erforderlichen Hilfswissenschaften jede Förderung angedeihen lassen. Für diesen Zweck habe ich eine Summe von anderthalb Millionen Mark jährlich ausgesetzt. Wer von Euch diese aufrichtige Absicht gutheißt und mich ohne Gewissenszweifel als Oberhaupt anerkennt, nehme hier seinen Platz neben dem neuen Ehrendoktor der Theologie ein.“

Bei diesem Worte verzog sich der schöne Mund des großen Mannes zu einem eigenartigen Lächeln.
Mehr als die Hälfte der gelehrten Theologen ging auf die Tribüne zu, wenngleich auch zögernd und schwankend. Alle blickten sie auf Professor Pauli, der auf seinem Sitze wie angewurzelt schien. Er hielt sein Haupt gesenkt und saß in sich zusammengesunken da. — Einige der gelehrten Theologen, die auf die Tribüne stiegen, wurden unter diesem Anblick verlegen. Einer von ihnen streckte plötzlich abwehrend die Hände aus, sprang zurück und lief ein wenig hinkend zu Professor Pauli und der kleinen, noch bei ihm verbliebenen Schar. Dieser erhob nun das Haupt, stand etwas unsicher auf, ging, von seinen Glaubensgenossen gefolgt, an den verlassenen Bänken vorbei und ließ sich neben dem Vater Johannes und Papst Petrus und deren Anhängern nieder.
Auf der Tribüne befand sich nun die überwiegende Mehrheit des Konzils und mit ihr fast die gesamte Hierarchie des Ostens und Westens.

Unten waren nur drei kleine Gruppen verblieben, die sich, nahe zusammengerückt, um Vater Johannes, Papst Petrus und Professor Pauli scharrten. Mit trauriger Stimme wandte sich nun der Imperator an sie: „Was kann ich noch für Euch tun, Sonderlinge, die Ihr seid? „Was verlangt Ihr von mir? Ich weiß es nicht. Sagt es mir doch selbst. Ihr Christen, die Ihr von der Mehrzahl Eurer Brüder und Eurer Führer verlassen und durch die Stimme der Völker verurteilt seid, sagt es mir doch selbst, was Ihr am Christentum am meisten schätzt!“

Da erhob sich, weiß wie eine Kerze, der greise Vater Johannes und antwortete mit sanfter Stimme: „Großer Herrscher! Christus selbst ist uns das Teuerste am Christentum. – Er selbst und alles, was von Ihm kommt, denn wir wissen, daß in Ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt. Von Dir aber, Herrscher, sind wir bereit, jede Wohltat anzunehmen, wenn wir nur in Deiner mildtätigen Hand die heilige Rechte unseres Erlösers erkennen. Und auf Deine Frage, was Du noch für uns tun könntest, geben wir Dir unsere einfache Antwort: Bekenne offen, jetzt, vor uns, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der Mensch wurde, auferstanden ist und wiederkommen wird — bekenne Ihn und wir werden Dich vom Herzen als den wahren Vorläufer Seiner herrlichen Wiederkunft anerkennen.“

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Kurze Erzählung vom Antichrist (09)

(Fortsetzung: Der große Abfall – zurückweiter)

Etwa fünfzig Jahre alt, war der neue Papst von mittlerem Wuchs und kräftigem Körperbau. Er hatte ein rötliches Gesicht, aus dem unter buschigen Augenbrauen eine gebogene Nase vorsprang. Sein impulsives Wesen ließ ihn mit Feuer sprechen, wobei er seine Worte mit weit ausholenden Gesten unterstrich. Seine Rede riß die Zuhörer mehr hin, als daß er sie überzeugte.

Den Weltherrscher betrachtete der neue Papst mißtrauisch, ja ablehnend, seit sein verstorbener Vorgänger auf der Reise zum Konzil dem Drängen des Imperators nachgegeben und den kaiserlichen Kanzler und Magier zum Kardinal ernannt hatte, jenen exotischen Bischof Apollonius, den Petrus für einen zweifelhaften Katholiken, aber für einen unzweifelhaften Gaukler hielt.

Der tatsächliche, wenn auch nicht offizielle Sprecher der Orthodoxie war der Mönch Johannes; er wurde vom einfachen Volke Rußlands allgemein verehrt. Obgleich er sich offiziell als Bischof zur Ruhe gesetzt hatte, lebte er nicht einsam im Kloster, sondern wanderte im Lande umher. Zahlreiche Legenden waren über ihn im Umlauf. Einige behaupteten, in ihm sei Fjodor Kusmitsch, nämlich der Zar Alexander I., der vor etwa dreihundert Jahren geboren war, auferstanden.

Andere gingen noch weiter und erklärten, er sei der Apostel und Evangelist Johannes, der in Wahrheit niemals gestorben sei und in der letzten Zeit sich offen zeige. Indessen sprach Vater Johannes selbst niemals über seine Herkunft und seine Jugend.

Jetzt war Johannes ein hochbetagter, aber noch rüstiger Greis, und das Weiß seiner Locken und seines wallenden Bartes hatte bereits einen gelblichen, ins Grünliche übergehenden Schimmer. Er war hoch gewachsen und hager, hatte aber volle, rosig angehauchte Wangen und einen lebhaften, glänzenden Blick. Auf seinem Antlitz zeigte sich rührende Güte, die auch seine Reden charakterisierte. Stets trug er eine weiße Soutane und darüber einen ebensolchen Mantel.

Die protestantische Abordnung auf dem Konzil wurde von Professor Ernst Pauli angeführt, einem gelehrten deutschen Theologen. Das war ein kleiner vertrockneter Greis mit gewaltiger Stirn, spitzer Nase und einem glatt rasierten Kinn. Aus seinen Augen sprach ein heftiges, doch gutmütiges Wesen. Jeden Augenblick rieb er sich die Hände, schüttelte den Kopf und runzelte schrecklich die Augenbrauen, ließ dann die Lippen hängen und murmelte schließlich mit funkelnden Augen und dumpfer Stimme: „So! Nun! Ja! So also!“ Er war stets feierlich gekleidet: eine weiße Krawatte zu einem langen Pastorenrock, der mit Orden geschmückt war. Die Eröffnung des Konzils war eindrucksvoll.

Zwei Drittel des gewaltigen „Tempels zur Vereinigung aller Kulte“ wurden von Bänken und anderen Sitzen für die Teilnehmer des Konzils, ein Drittel von einer hohen Tribüne eingenommen. Dort standen hinter dem Thron des Imperators und dem ein wenig niedrigeren Thronsessel des großen Magiers, Kardinals und kaiserlichen Kanzlers lange Reihen von Sitzen für die Minister, Hofleute und Staatssekretäre. Zu beiden Seiten befanden sich noch längere Reihen von Sitzen, deren Bestimmung aber niemand kannte. Auf den Galerien hatten Musikorchester Platz genommen. Zwei Garderegimenter und eine Batterie waren auf dem nahen Platz zur Abgabe der Ehrensalven angetreten. Die Mitglieder des Konzils hatten ihre Gottesdienste in den verschiedenen Kirchen abgehalten, so daß die Eröffnung des Konzils einen vollkommen weltlichen Charakter trug.

Als der Imperator, an seiner Seite der große Magier und hinter ihm ein zahlreiches Gefolge, die Halle betrat, spielten die Orchester den „Marsch der Vereinigten Menschheit“, der zugleich als kaiserliche und internationale Hymne diente. Die Konzilsteilnehmer erhoben sich von ihren Sitzen und riefen, ihre Hüte schwenkend, dreimal laut: „Vivat! Hurra! Hoch!“ Der Imperator stellte sich neben seinen Thron und nach einer majestätischen Gebärde des Wohlwollens sprach er mit volltönender und angenehmer Stimme zur Versammlung:

„Christen aller Bekenntnisse! Meine geliebten Untertanen und Brüder!

Seit Beginn meiner Regierung, die der Höchste mit so wunderbaren und ruhmvollen Werken gesegnet hat, habe ich noch keinen Anlaß gefunden, mit Euch unzufrieden zu sein. Immer habt Ihr Eure Pflicht erfüllt, so wie es Euch Glaube und Gewissen geboten. Aber das ist mir nicht genug. Die innige Liebe zu Euch, meine teuren Brüder, dürstet darnach, erwidert zu werden. Ich wünsche von Herzen, daß Ihr mich nicht aus Pflichtgefühl, vielmehr aus aufrichtiger Liebe anerkennt als Euren Führer in allem, was zum Heile der Menschheit erforderlich ist. Daher möchte ich außer den Wohltaten, die ich allen angedeihen lasse, Euch noch eine besondere Gnade erweisen.
Christen, womit könnte ich Euch beglücken? Was soll ich Euch gewähren, nicht als meinen Untertanen, sondern als meinen Brüdern und Glaubensgenossen? Christen! Sagt mir, was Ihr am Christentum am meisten liebt, damit ich meine Bemühungen darauf richte!“

Der Imperator hielt inne und wartete, während sich im Tempel ein dumpfes Murmeln erhob. Die Mitglieder des Konzils sprachen leise miteinander. Papst Petrus gestikulierte heftig und erklärte irgend etwas seiner Umgebung. Professor Pauli schüttelte das Haupt und verzog zornig die Lippen, Vater Johannes wandte sich einem orthodoxen Bischof und einem Kapuziner zu und sprach leise auf sie ein.

Der Imperator hatte ein wenig gewartet. Nun wandte er sich von neuem an das Konzil, doch klang nun in dem freundlichen Ton eine leichte, kaum erkennbare Ironie mit.

„Liebe Christen“, sprach er, „ich verstehe wohl, daß es Euch nicht leicht fällt, mir ohne weiteres zu antworten. Ich will Euch dabei helfen. Zu Eurem Unglück seid Ihr seit undenklichen Zeiten in verschiedene Bekenntnisse und Parteien gespalten. Daher gibt es vielleicht unter Euch nichts, was Ihr gemeinsam am meisten schätzt. Wenn Ihr aber untereinander selbst nicht einig werden könnt, dann hoffe ich, alle Eure Parteien zu einigen dadurch, daß ich allen die gleiche Liebe erweise und die gleiche Bereitschaft, die wahren Wünsche eines jeden zu befriedigen.
Liebe Christen! Ich weiß, daß vielen von Euch, und darunter nicht den Geringsten, die geistliche Autorität seiner gesetzmäßigen Repräsentanten im Christentum das Teuerste ist — einer Autorität, die es selbstverständlich nicht zu deren persönlichen Vorteil, sondern zum Wohle aller gewährt, da ja auf ihr die geregelte Ordnung des Geistes und die moralische Disziplin beruht, die beide niemand entbehren kann.

Liebe katholische Brüder! Oh, wie verstehe ich Eure Ansicht und wie gerne möchte ich meine Herrschaft auf die Autorität Eures geistigen Oberhauptes stützen! Damit Ihr aber nicht glaubt, dies seien Schmeicheleien oder leere Worte, erklären wir in aller Feierlichkeit: Kraft unseres unumschränkten Willens wird von nun an der oberste Bischof aller Katholiken, der römische Papst, wieder auf seinen Thron in Rom eingesetzt mit allen früheren Rechten und allen Vorrechten des päpstlichen Stuhles, Rechten, die von unseren Vorgängern bis auf Konstantin den Großen zugesichert wurden. Von Euch aber, liebe katholische Brüder, verlange ich dafür nur die Anerkennung meiner Person als Eures einzigen Verteidigers und Beschützers. Wer sich dazu nach Gefühl und Gewissen bekennen kann, möge hierher, zu mir treten.“

(Fortsetzung folgt)

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