Papst und Kondome für Dummies

Was der Papst wirklich gesagt hat:

„Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will. Aber es ist nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen.

Frage: Wollen Sie damit sagen, daß die katholische Kirche nicht grundsätzlich gegen den Gebrauch von Kondomen ist?

Sie versteht sie natürlich nicht als tatsächliche oder moralische Lösung, aber in dem einen oder anderen Fall kann trotzdem die Absicht, das Risiko einer Infektion zu verhindern, ein erster Schritt in eine andere Richtung sein, zu einer menschlicheren Art, Sexualität zu leben.“

Was die Aussagen des Papstes alles nicht bedeuten, kann man in den Analysen der gewohnt inkompetenten deutschen Presse nachlesen.

Worauf Benedikt in seiner vernünftigen Bemerkung zu einem sehr komplexen Thema tatsächlich hinweist, das fasst Janet Smith so zusammen, dass es eigentlich auch deutsche Journalisten verstehen könnten:

Wenn jemand einen Überfall auf eine Bank plant und dafür normalerweise eine Schusswaffe benutzen würde, dann wäre es für ihn besser, wenn er eine Pistole ohne Patronen benutzen würde. Dieses Vorgehen würde die Gefahr tödlicher Verletzungen deutlich reduzieren. Aber es ist nicht die Aufgabe der katholischen Kirche, potentielle Bankräuber darin zu schulen, wie sie Banken ungefährlicher ausrauben können. Und es ist erst recht nicht ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihnen Schreckschusspistolen zur Verfügung gestellt werden. Nichtsdestotrotz zeigt die Absicht des Bankräubers, das Geldinstitut so zu überfallen, dass nur geringe Gefahr für Kunden und Mitarbeiter besteht, ein Element moralischer Verantwortung, das ein erster Schritt zur Einsicht sein könnte, dass Bankraub an sich unmoralisch ist.

Quelle

Im Loyalitätskonflikt zwischen Rom und Ortskirche

Ratlose Priester – Im Loyalitätskonflikt zwischen Rom und Ortskirche

Interview mit der Kirchlichen Umschau – November 2010

Pfarrer Hendrick Jolie ist kein Barrikadenpriester, der seine Gemeinde mit immer neuem reformatorischem Eifer zu weiteren „Aufbrüchen“ treiben will. Als „konservativ “ kann man den 1992 geweihten Diözesangeistlichen (46) des Bistums Mainz aber auch nicht bezeichnen, denn am Erhalt des status quo der real existierenden Pastoral ist er nicht interessiert. Er gehört zur nachwachsenden Generation, die weder vom „Superkonzil“ geprägt ist, noch von vorkonziliaren „Erinnerungen“. Er will Priester sein, so wie die Kirche Priester will. Non plus, non minus, non aliter (nicht mehr, nicht weniger, nicht anders).

Diese zunehmende Neuorientierung unter den jungen Klerikern ist ein Phänomen, das den „Krawatten-Priester-Mainstream“ und die „andere Hierarchie“ unruhig macht. Der „Generation Benedikt“ unter den Priestern geht es nämlich nicht um eine vordergründige Kosmetik der Kirchenkrise: Vielmehr erkennt sie ein Problem, auf das der Herr selbst bereits hingewiesen hat: „Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie nicht bestehen.“ (Markus 3,24f)

Immer mehr junge Priester leiden unter dem „doppelten“ Gehorsam, der eingefordert wird, aber an sich widersprüchlich ist: Auf der einen Seite Rom, auf der anderen Seite eine sich anbahnende Nationalkirche antirömischer Prägung.

Nicht zuletzt dieser Leidensdruck führte 2001 zur Gründung des „Netzwerks katholischer Priester“ – eine Gesinnungsgemeinschaft von Klerikern, die ihr Priesteramt getreu ihrem Weiheversprechen ausüben wollen. Daß eine Art Selbsthilfegruppe lehramtstreuer Priester in Deutschland überhaupt nötig wurde und sich wachsenden Zulaufs erfreut, zeigt, wie viele Priester mittlerweile „zwischen den Stühlen“ sitzen, was die Gehorsamsforderung (hier der Papst, dort der Ortsordinarius) anbelangt.

Pfarrer Jolie hat mit siebzehn Mitbrüdern des Priesternetzwerks einen Brief nach Rom geschrieben, um in einer wichtigen Frage Auskunft zu erhalten, wem der Gehorsam in der Kirche geschuldet ist.

Kirchliche Umschau: Hochwürden, haben Sie ein Autoritätsproblem?


Pfarrer Hendrick Jolie:
Das sollten Sie lieber einmal die deutschen Bischöfe fragen (lacht). Im Ernst: Die Ausübung der Autorität ist in unserer Kirche vernunftgemäß begründet und sakramental verankert. Als ich im Alter von 20 Jahren – und nach einer Zeit relativer Zügellosigkeit – die Schönheit der Kirche neu entdeckte, erschien mir diese katholische Form der Autoritätsausübung als der größte Schatz. Ich stieß auf ein Wort der Heiligen Theresa von Avila, dass es keinen Weg gibt, der so schnell zur höchsten Vollkommenheit führt wie der des Gehorsams (Klosterstiftungen 5,11). Aufgrund meiner eigenen Erfahrung weiß ich deshalb: Es geht um viel, wenn innerhalb der Kirche der Gehorsam auf dem Spiel steht. Oftmals geht es aber heute eben nicht nur um sogenannte „Meinungsverschiedenheiten.“ Vielmehr ist der Glaube in Gefahr.

Wir, die im Netzwerk katholischer Priester verbundenen Geistlichen, beobachten seit Jahren mit großer Besorgnis das Auseinanderdriften von Orts- und Universalkirche. Niemand täusche sich: Wo in Presseerklärungen der Bischofskonferenz euphemistisch von „Spannungen“ oder „unterschiedlichen Auffassungen“ gesprochen wird, wo einzelne Bischöfe ankündigen, man wolle hinsichtlich päpstlicher Weisungen „Spielräume ausloten“ oder „im Gespräch mit Rom bleiben“, da geht es oftmals ums Ganze: Es geht um die Frage, wer in Glaubens- oder Moralfragen das letzte Wort hat.

Man braucht außerdem kein „Piusbruder“ zu sein, um festzustellen, dass das ausufernde Kollegialitätsprinzip des bischöflichen Amtes und der damit zusammenhängende Einfluss der Bischofskonferenzen zu Problemen geführt haben, die selbst der Papst kaum noch in den Griff bekommt, ganz zu schweigen von den nicht mehr lösbaren Problemen „an der Basis“:

A propos Basis: Die Uneinigkeit und der Ungehorsam in zentralen Fragen haben dazu geführt, daß der Großteil der Katholiken sich von ihrem Pfarrer nichts mehr sagen lässt. Beliebte Formulierung ist dabei: „Sie sehen das so, ich sehe das anders.“ Und hierbei geht es oft nicht um Kleinigkeiten, sondern um den Glauben der Kirche. Bedauerlicherweise können sie sich dann oft noch auf einen Nachbarpfarrer oder gar einen Bischof berufen, der z.B. in der Frage der Zulassung zu den Sakramenten oder in der Frage, wo die wahre Kirche Christi zu finden ist, tatsächlich das Gegenteil von dem verkündet, was ich in der Predigt gesagt habe und was traditionelle Lehre der Kirche ist. – Wo soll das aber hinführen, wenn der Gehorsam in der Kirche zusammengebrochen ist? Wenn jedes Dogma relativiert und als nicht mehr verbindlich angesehen wird?

Der nun schon vier Jahre dauernde Streit um eine Korrektur der falsch übersetzten Wandlungsworte im deutschen Missale („pro multis“ heißt eben „für viele“ und nicht „für alle“) zeigt: Die Auseinandersetzung um die Autorität in der Kirche ist in das Herz des Glaubens vorgedrungen. Schon im Abendmahlssaal stritten bekanntlich die Apostel darum, wer von ihnen der Größte sei. Damals wie heute ist das kein rein disziplinarisches Problem. Deswegen noch einmal: Wenn der Gehorsam in zentralen Fragen zur Disposition gestellt wird, steht der Glaube auf dem Spiel. Nicht zufällig wendet sich der Herr im Abendmahlssaal an den Heiligen Petrus mit dem Hinweis, er habe für ihn gebetet, damit sein Glaube nicht wanke. Petrus braucht diesen Glauben an die ihm vom Herrn übertragene Sonderstellung. Wenn dieser Glaube wankt, dann kann Petrus auch die „Brüder“ im Glauben nicht mehr stärken. Im Kern gibt es also von Anfang an die Gefahr, das Petrusamt zu nivellieren und die Aufkündigung von Gehorsam als Meinungsverschiedenheit zu bagatellisieren. Das dürfen wir aber nicht zulassen. Hier mahnt uns das Gewissen, die Stimme zu erheben!

Der Streit um die Wandlungsworte ist in unseren Augen ein Symptom, das auf eine Gehorsams- und Glaubenskrise in der Kirche hinweist. Zu diesen Vorgängen können und werden wir nicht schweigen. Wir sind weder illoyal, noch wollen wir uns wichtigmachen, auch wenn uns das nicht selten vorgeworfen wird. Es geht uns hier um eine Gewissenspflicht, und wir hoffen, daß dies auch so respektiert und wahrgenommen wird.

Kirchliche Umschau: Sie haben einen Brief an die Gottesdienstkongregation geschrieben, der ziemliches Aufsehen erregt hat. Worum geht es?

Pfarrer Hendrick Jolie: Kardinal Arinze schrieb am 17. November 2006 in seinem Amt als Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation an die Bischofskonferenzen einen Brief. Sein Thema: Die Übersetzung der Worte „pro multis“ in den Wandlungsworten der hl. Messe.

Nachdem der Text ziemlich schnell bekannt geworden war, wurde er auch in der Zeitschrift Notitiae der genannten vatikanischen Behörde veröffentlicht – auch in deutscher Sprache.

Der genannte Brief bezog sich ausdrücklich auf die Konsultation der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen, die vorausgegangen war.

Kardinal Arinze teilte im Namen des Papstes mit, daß in den nun anstehenden Übersetzungen des Römischen Messbuchs, die durch eine dritte Auflage des Novus Ordo der lateinischen römischen Ausgabe nötig geworden seien, eine andere Übersetzung der Kelchworte zur Anwendung käme, nämlich eine präzise landessprachliche Übersetzung der Formel des „pro multis“. Die Bischofskonferenzen wurden gebeten, den Gläubigen „in den nächsten ein bis zwei Jahren“ eine geeignete Katechese anzubieten, um diese Änderung vorzubereiten.

Als Argumente für diese philologisch korrekte Art der Übersetzung gab er an:

„a) Die synoptischen Evangelien (Mt 26, 28; Mk 14, 24) beziehen sich spezifisch auf den Ausdruck „viele“ (pollôn), für die der Herr sein Opfer darbringt. Dieser Wortgebrauch wird darüber hinaus von einigen Bibelgelehrten in Verbindung mit den Worten des Propheten Jesaja (53, 11-12) betont. Es wäre durchaus möglich gewesen, in den Evangelientexten den Ausdruck „für alle“ zu wählen (wie z.B. Lk 12, 41); stattdessen benutzt der Einsetzungsbericht aber die Formel „für viele“ und diese Worte sind in den meisten modernen Bibelübersetzungen treu übersetzt worden.

b) Der Römische Ritus hat immer den Ausdruck „pro multis“ und niemals den Ausdruck „pro omnibus“ bei der Wandlung des Weins in das Blut Christi benutzt.

c) Die Anaphoren der verschiedenen Orientalischen Riten, sei es in griechischer, syrischer, armenischer oder slawischer Sprache usw., enthalten in ihren jeweiligen Sprachen das sprachliche Äquivalent zu dem lateinischen Ausdruck „pro multis“.

d) Der Ausdruck „für viele“ oder „für die Vielen“ ist eine genaue Übersetzung des Ausdrucks „pro multis“, wogegen der Ausdruck „für alle“ eher eine Erläuterung darstellt, die eigentlich in die Katechese gehört.

e) Der Ausdruck „für viele“, der offen bleibt, um jeden Menschen in das Heil einzuschließen, bringt deutlicher die Tatsache zum Ausdruck, daß das Heil nicht automatisch geschenkt wird, quasi ohne Einbeziehung des eigenen Willens oder Anteilnahme am Heil. Der Gläubige ist vielmehr eingeladen, in Glauben das Geschenk anzunehmen, welches ihm von Gott angeboten wird, und das übernatürliche Leben zu empfangen, das demjenigen geschenkt wird, der an diesem Mysterium teilnimmt. In seinem Leben ist der Christ eingeladen, dieses Mysterium umzusetzen, um so unter die „vielen“ gerechnet zu werden, auf die der Text sich bezieht.

f) In Übereinstimmung mit der Instruktion Liturgiam authenticam sollte sich bemüht werden, den lateinischen Text der editiones typicae genauer und präziser zu übersetzen.“

Den Brief des Kardinals kann man im Internet nachlesen – z.B. auf der Seite des Trierer liturgischen Institutes unter dem Stichwort „Arinze“:

Kirchliche Umschau: Der Brief von Kardinal Arinze ist ja schon ein paar Jahre alt. Warum schreiben Sie jetzt nach Rom?

Pfarrer Hendrick Jolie: Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Pressebericht der Herbstvollversammlung unmissverständlich deutlich gemacht, daß sie an einer Revision der Messtexte des Novus Ordo im Sinne des Papstes nicht wirklich interessiert ist. Ich darf aus dem Abschlussbericht zitieren: „Dabei sind wir der Auffassung, daß das bisherige Deutsche Messbuch (2. Auflage) weithin den Anforderungen einer textgetreuen Übersetzung entspricht Es besitzt eine religiöse Sprache, die sich in der liturgischen Praxis der letzten Jahrzehnte bewährt hat. Viele Texte sind Priestern und Gläubigen durch den praktischen Vollzug vertraut. Dieser hohe Wert darf durch eine grundständig neue Übersetzung nicht gefährdet werden. Die Rezeption des künftigen Messbuchs darf wegen der Übersetzung einzelner Grundwörter oder der ohne inhaltliche Notwendigkeit erfolgenden Ersetzung bisher guter deutscher Texte durch verfremdete Neufassungen nicht insgesamt gefährdet werden.“

Worte wie „das hat sich in der liturgischen Praxis bewährt“ oder die Warnung, eine „verfremdete Neufassung“ würde die Rezeption in den Gemeinden gefährden sind eine unverhohlene Drohung in Richtung römische Kurie. Wir kennen diese Formulierungen aus anderen Vorgängen im liturgischen Bereich. Im Grunde heißt das: Die päpstliche Korrektur wird mehr oder weniger in den Wind geschlagen mit dem Verweis auf entsprechende „Gewohnheiten“ vor Ort. Mir ist z.B. kein deutschsprachiges Bistum bekannt, in dem der Wunsch des Papstes, die Gläubigen mögen auf die Neuformulierung der Wandlungsworte katechetisch vorbereitet werden, auch nur ansatzweise umgesetzt worden wäre.

Als im „Gotteslob“ hingegen vor einigen Jahren angeblich „frauenfeindliche Formulierungen“ durch geschlechtsneutrale Wendungen ersetzt werden mussten – aus „Brüdern“ wurden „Geschwister“, aus „Söhnen“ wurden „Kinder“ –, da liefen deutschlandweit die Druckmaschinen noch über Nacht an: Mit Überklebebogen und einem ideologischen Eifer, der an Fanatismus erinnerte, wurden sämtliche Gesangbücher der Republik von „diskriminierenden“ Worten gereinigt – und niemand fürchtete eine „gefährdete Rezeption“. Man nahm ohne Federlesen in Kauf, daß das gewachsene Liedgut der Gemeinden gleichsam über Nacht mit ungewohnten – und zum Teil höchst geschraubten – Formulierungen kontaminiert wurde. Und dies ohne jede Vorwarnung. Warum wäre es dann nicht möglich, ein einziges Wort im Missale zu überkleben?

Die im Netzwerk katholischer Priester verbundenen Mitbrüder legen mit ihrem Brief den Finger an eine Wunde. Unsere Frage lautet: Wie sollen sich Priester verhalten, wenn – wie so häufig – universalkirchliche und partikularrechtliche Bestimmungen einander widersprechen? Hier werden nicht wenige Priester in Gewissensnöte gestürzt: Welcher Autorität sollen sie Folge leisten? Rein rechtlich ist das universale Recht dem partikularen natürlich übergeordnet. Auf praktischer Ebene ist es leider oftmals so, daß die Berufung auf päpstliche Weisungen dem Pfarrer vor Ort wenig nützt.

Eine kurze Randbemerkung: Tonangebende Kreise in meinen Gemeinden haben mir das bizarre Etikett „papsttreu“ angeklebt. Das soll natürlich despektierlich wirken, ich betrachte das jedoch als Ehrentitel. Gleichzeitig frage ich mich, was dann die anderen Priester in meiner Nachbarschaft sind, wenn sie offenbar als nicht papsttreu angesehen werden?

Ich erwähnte bereits, daß ich als „Neubekehrter“ die kirchliche Autorität als den eigentlichen Schatz des Glaubens entdeckt habe. Auch heute noch erfahre ich, welchen Schutz selbst ein einfacher Pfarrer auf dem Land einzelnen Gläubigen gewährt, wenn er sie im seelsorglichen Gespräch mahnt, sich in den Gehorsam der Kirche zu stellen und den legitimen Autoritäten zu folgen. Viele Menschen sind doch im Glauben total verunsichert und dementsprechend allen möglichen Trends und Stimmungen ausgeliefert. Wie heilsam ist es dann, wenn die Gläubigen sich einer Autorität überlassen können, die ihren Ursprung in Gott selbst hat.

Das Problem ist natürlich: Ein Pfarrer kann nur Gehorsam einfordern, wenn er selbst in Glaube und Lebensführung der Kirche gehorsam ist. Wie soll das funktionieren, wenn es selbst in fundamentalen Fragen keine Einigkeit und – was noch schlimmer ist – keine Bereitschaft gibt, dem obersten Lehramt der Kirche zu folgen? Welches Beispiel geben uns die Bischöfe?

Besonders schmerzhaft ist es, wenn der Ungehorsam im Bereich der Liturgie vor aller Augen sicht- und hörbar wird. Wie oft haben wir als Gemeindepfarrer in den letzten Jahren erleben müssen, daß die zaghaften Versuche der römischen Behörden, den liturgischen Wildwuchs der Ortskirchen einzudämmen, auf taube Ohren gestoßen sind. Ich erspare Ihnen eine Aufzählung, auch Ihre Zeitschrift hat diese Fälle ja immer wieder dokumentiert. Die Frage der Wandlungsworte ist in unseren Augen jedoch so ernst, daß wir nicht weiter schweigen wollten. Hier geht es doch nicht um philologische Haarspaltereien. Noch einmal: Es geht um den Glauben, und der ist in Gefahr.

Kirchliche Umschau: Was haben Sie mit siebzehn anderen Mitbrüdern nach Rom geschrieben?

Pfarrer Hendrick Jolie: Wir haben uns an den Präfekten der Gottesdienstkongregation gewandt, S. Em. Antonio Cardinal Cañizares Llovera. Ich darf einfach zitieren:

„Eminenz, seit dem Jahre 2006 liegt vom Hl. Stuhl die Aufforderung zur Revision der Übersetzung der Wandlungsworte der Hl. Messe sowie die Bitte um Überprüfung der nationalen Übersetzung der Messtexte vor.

In der Zwischenzeit sind vier Jahre vergangen, ohne daß die Deutschen Bischöfe dem Wunsch des Hl. Stuhls nachgekommen wären. Weder wurden umfangreiche Katechesen zur Erläuterung der Änderung der Konsekrationsworte gehalten, noch diese Änderung selbst umgesetzt.

Unsere Anfrage vor zwei Jahren, wie wir uns als Priester bezüglich der Umsetzung des Wunsches der Gottesdienstkongregation verhalten sollen, wurde mit dem Warten auf die Entscheidung der Bischöfe beantwortet.

Nun ist die Frist zur Neufassung der Konsekrationsworte einschließlich ihrer geistlichen Vorbereitung bereits zwei Jahre abgelaufen. Die Bischöfe lassen einzig verlautbaren, daß eine Verbesserung des Deutschen Missale in seinen Übersetzungen nicht nötig sei, weil man die bisherige Fassung für gut befunden und die Gläubige sich außerdem daran gewöhnt hätten.

So scheint sich für uns ein tiefgreifender Loyalitätskonflikt anzubahnen. Denn unsere Haltung des Gehorsams dem Willen des Hl. Stuhls zu entsprechen, eine authentische Übersetzung des ‚pro multis’ in den Wandlungsworten zu verwenden, wird dadurch verhindert, daß die Befolgung der Partikularnormen genau diesem Anliegen widerspricht.

Dies löst in uns eine gewisse Ratlosigkeit und Betroffenheit aus, und wir fühlen uns als Priester, die dem Heiligen Vater gehorsam sein wollen, allein gelassen in unserer Entscheidung zur Loyalität den kirchlichen Autoritäten gegenüber.

Wir bitten daher um die Beantwortung der Frage, wie wir uns in diesem inneren Konflikt verhalten sollen, in dem unser Gehorsam dem Hl. Stuhl gegenüber durch die Bindung an die örtlichen Autoritäten und ihre Entscheidungen verhindert wird.“


Kirchliche Umschau:
Bischof Müller von Regensburg hat sich die Mahnung wohl zu Herzen genommen. Er plädierte jüngst in der Zeitung „Die Tagespost“ für eine Umsetzung des päpstlichen Willens. In seinem Buch zur hl. Messe war er noch anderer Meinung.

Pfarrer Hendrick Jolie: Für einen einfachen Gemeindepfarrer ist es immer heikel, das Verhalten einzelner Bischöfe öffentlich zu bewerten, normalerweise sehen wir im Netzwerk Katholischer Priester davon ab. Vermutlich ist der Vorstoß von Bischof Müller der Versuch eines Kompromisses – ein Kompromiss, der die deutschen Bischöfe und den Papst gleichzeitig vor Gesichtsverlust bewahren soll.

Ohne Bischof Müller zu nahe treten zu wollen, sei jedoch die Frage erlaubt, warum erst vier Jahre vergehen mussten, bis dieser Vorschlag des „für die Vielen“ auf den Tisch kam. Warum ist die von Kardinal Arinze gesetzte Frist verstrichen, ohne daß sich ein einziger Oberhirte zu Wort gemeldet hat? Warum kommt dieser Vorschlag erst jetzt, nachdem der Papst schon vor vier Jahren darum gebeten hat, die Rückkehr zur korrekten Übersetzung der Wandlungsworte katechetisch vorzubereiten? Warum nun diese wortreichen Erklärungen, nachdem die Neufassung des deutschen Missale bereits in Rom eingereicht wurde?

Dieses Vorgehen ist doch schlichtweg unverständlich: Da reichen 26 Diözesanhirten ein neuübersetztes Messbuch ein (in welchem dem Vernehmen nach ja gerade nicht „für die Vielen“, sondern weiterhin „für alle“ steht) und anschließend veröffentlicht einer dieser Bischöfe eine Erklärung, in welcher er für eine andere Übersetzung der Wandlungsworte plädiert. Hier scheint es – sehr vornehm ausgedrückt – nicht nur ein Kommunikationsproblem innerhalb der DBK zu geben.


Kirchliche Umschau:
Wir hatten ja schon mal das massive Problem des Ungehorsams der Bischöfe in Deutschland. Denken wir an „Donum vitae“!

Pfarrer Hendrick Jolie: Ich hoffe, Sie wollen mich nicht aufs Glatteis führen (lacht). Ich gebe Ihnen deshalb eine indirekte Antwort: Als das Priesternetzwerk anlässlich des Priesterjahres im Sommer in Rom war und wir Gespräche mit verschiedenen Dikasterien geführt haben, waren wir erschüttert über die Macht- und Hilflosigkeit der römischen Behörden angesichts der deutschen Misere. Es ist eben nicht so, daß man in Rom nicht wüsste, was in Deutschland los ist. Wir waren auf Widerspruch vorbereitet, als wir unsere Dossiers über verschiedene Vorgänge in der deutschen Kirche vorgetragen hatten. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Es sei noch viel schlimmer als wir es geschildert hätten, so wurde uns in einer Kongregation nicht ohne Anflüge von Zynismus geantwortet. Besonders in der „Williamson-Affäre“ sei man schockiert gewesen, daß selbst Bischöfe nicht davor zurückgeschreckt seien, auf Distanz zum Papst zu gehen, anstatt ihn zu schützen. –

Sie haben gerade das Problem „Donum vitae“ genannt, es fallen mir im Handumdrehen eine Handvoll anderer Vorgänge ein, die das Auseinanderbrechen von Orts- und Weltkirche schmerzhaft zu Tage treten lassen: Der Ökumenische „Kirchen“tag mit seinem Schwulen- und Lesbenprogramm; die Interkommunion; das ZdK mit seinen unsäglichen (= neuer und alter) Präsidenten; die Königsteiner Erklärung; die sogenannten „Pastoralteams“ in den neu erfundenden Seelsorgseinheiten, die das Hirtenamt des Pfarrers bis zur Unkenntlichkeit verdunkeln etc., etc….

Es ist immer das gleiche Spielchen: Rom schreibt eine Instruktion, eine Ermahnung oder aber der Papst mahnt die Bischöfe höchstpersönlich, bestimmte Fehlentwicklungen zu korrigieren, und es passiert – nichts!

In Rom fühlt man sich offenbar weitgehend machtlos gegen die mächtigen – aus Kirchensteuern finanzierten – Apparate vor Ort. Briefe, Ermahnungen und Anweisungen aus Rom würden von den lokalen Autoritäten in einer Unbekümmertheit übergangen, daß es einem die Sprache verschlage, so sagte man uns im Staatssekretariat. Es bleibe daher nichts anderes übrig, als entweder auf den Zusammenbruch des deutschen Kirchensteuerwesens oder aber auf eine „biologische Lösung“ hinsichtlich der Entscheidungsträger zu warten.

Mit Verlaub: Die meisten Mitbrüder im Netzwerk sind nicht bereit, sich mit diesen von den römischen Behörden aufgezeigten „Geduld-Lösungen“ abzufinden. Wir halten diese Lösungen auch für unangemessen und nicht evangeliumsgemäß. Außerdem: Wir möchten auch die Gläubigen aufrütteln, damit sie sich dem verhängnisvollen Trend entgegenstellen.

Kirchliche Umschau: Man könnte noch weitere Beispiele einfügen. Nehmen wir ein scheinbar „harmloseres“ Thema: Die Priesterkleidung.

Pfarrer Hendrick Jolie: Ich habe mich vor einigen Jahren entschieden, fast ausnahmslos die Soutane zu tragen. Sie ist in meinen Augen eine geeignete (und nebenbei bemerkt auch sehr praktische) Möglichkeit, den geistlichen Stand in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Der Priester ist nichts „Besseres“, wohl aber ein „Anderer“: Darauf macht die geistliche Kleidung aufmerksam. Es hat mich selbst überrascht, aber es ist so: Die Soutane gewährt seinem Träger einen besonderen Schutz – in der Öffentlichkeit wie auch im privaten Raum. Der Priester erfährt bis hinein in die Konkretheit seines Leibes den Segen seiner geistlichen Kleidung. Sie erinnert nicht zuletzt auch ihren Träger daran, daß er in besonderer Weise Gott geweiht ist und daß diese Weihe Seele und Leib umfasst. Und sie ist ein Zeichen der Bereitschaft, der Kirche und ihren Weisungen gehorsam zu sein.

Ganz davon abgesehen – und darauf wollen Sie mit Ihrer Frage wahrscheinlich hinweisen – gibt es ja auch partikularrechtlich eindeutige Bestimmungen, die eine geistliche Kleidung verpflichtend vorschreiben. Der Priester muß erkennbar sein, ganz gleich, ob in Soutane oder mit Kollar. Was ist davon zu halten, wenn – unbeschadet dieser Vorschrift – in einer deutschen Diözese der Sekretär des Priesterrates in bürgerlicher Kleidung – in diesem Fall mit schlecht sitzender und farblich nicht zu seinem Anzug passender Krawatte – auf einem Podium neben seinem Bischof sitzt und jener keine Miene verzieht? Jeder Beobachter wird sich denken, daß dieses Auftreten des Zivilpriesters auch im Sinne des Gesetzgebers ist – und folglich in Ordnung. Die Soutane hingegen – die vom kirchlichen Gesetzbuch natürlich weiterhin als Klerikerkleidung geführt wird – erweist sich stets als „Karrierekiller“. Auch hier haben sie wieder dieses bizarre Phänomen: Wer sich um Gehorsam bemüht, muss sich rechtfertigen und gerät unter Druck.


Kirchliche Umschau:
Der Zölibat hat unter den deutschen Bischöfen immer weniger Verteidiger, denken wir an die „Vorschläge“ von Msgr. Ackermann von Trier, Msgr. Schick von Bamberg, Msgr. Jaschke in Hamburg……

Pfarrer Hendrick Jolie: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat seine Amtszeit mit der Aussage begonnen, der Zölibat sei theologisch nicht notwendig. In diesem Zusammenhang (es handelt sich um ein SPIEGEL-Interview vom 16.02.2008) fiel dann auch das Wort, er sei gegen „Denkverbote“. Man fragt sich in aller Bescheidenheit, ob den Verantwortlichen die katastrophalen Folgen dieser Äußerungen so recht bewußt sind. Bei einfachen Gemeindemitgliedern entsteht doch der Eindruck: Alle Priester und Bischöfe, die nun nicht sofort über den Zölibat und seine Relativierung nachzudenken beginnen, sind offenbar für „Denkverbote“. Seitdem ist eine Lawine losgetreten worden, die nicht mehr zu stoppen ist – obwohl Erzbischof Zollitsch selbst mehrfach versucht hat, die Relativierung der Zölibatsverpflichtung wiederum zu relativieren – ohne Erfolg, wie vorauszusehen war. Das ist jetzt natürlich viel zu spät.

Jeder deutsche Bischof sieht sich nun gezwungen, zu dieser künstlich losgetretenen Zölibatsdebatte Stellung zu beziehen. Und da wir in einem freien Land leben, ist jeder bemüht, darauf hinzuweisen, dass man über diese Dinge natürlich reden dürfe, weil sie ja – wie jedes Kind weiß – nicht zum dogmatischen Kern der Kirche gehören.

Merken Sie etwas? Dieser Fall ist ein Musterbeispiel für eine Kampagnenfalle, in die ein Verantwortlicher nach dem anderen hineintappt. Und das tun selbst jene, die nun – im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen – betonen, es gäbe natürlich keinen Zusammenhang zwischen Pädophilie und dem Zölibat. Sofort sind zwei Worte in der Öffentlichkeit (Zölibat/Pädophilie), bei denen dann der nicht beabsichtigte Eindruck entsteht, sie stünden eben doch in irgendeinem Zusammenhang.

Dieses Verhalten ist – vornehm gesagt – aus mehreren Gründen nicht hilfreich: Erstens: Die Kirche lässt sich eine überflüssige Zölibatsdiskussion aufdrängen – und dies zu einer Zeit, in der das Thema Pädophilie in aller Munde ist. Zweitens: Die Aufregung darüber, welcher Bischof nun für und welcher gegen den Zölibat ist, lenkt von den eigentlich wichtigen Fragen (Zusammenbruch des Glaubens in der deutschen Kirche, Mangel an Berufungen, Zerstörung der Familie etc.) ab. Und schließlich: Das päpstliche Festhalten an der Verbindung von Priestertum und Zölibat wird im Mediengeschrei zu einer „Meinung“ von vielen degradiert und zudem noch mit der Vokabel „Denkverbot“ in Verbindung gebracht. Ich sage nicht, dass diese drei Folgen beabsichtigt waren. Aber die Beobachtung der „Basis“ in den Gemeinden veranlasst mich zu dieser Feststellung. Gut gemeint ist eben oftmals das Gegenteil von gut.

Kirchliche Umschau: Ihr Bischof, S. Em. Kardinal Karl Lehmann hat am Ende der Herbst-Versammlung ein Interview gegeben: Als nötige „Reformen“ nannte er die Einführung des Diakonats für Frau, die Neuformulierung der katholischen Sexualmoral in Distanzierung von Humanae vitae, die Spendung der Kommunion an irrgläubige Christen, die gar nicht den Glauben an die Transsubstantiation haben, die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt…

Pfarrer Hendrick Jolie: Zunächst möchte ich betonen, dass die Priester des Priesternetzwerks ihren Bischöfen gegenüber loyal und gehorsam sein wollen. Gerade an diesem von Ihnen angesprochenen Vorgang kann ich deutlich machen, wie uns Priestern oft zumute ist: Von der deutschen Bischofskonferenz werden zurzeit theologische Fässer aufgemacht, um deren Schließung der Papst sich seit Jahren müht. So hat er z.B. in Fragen der Kommunionspendung an Nichtkatholiken und an sogenannte „wiederverheirateten Geschiedenen“ mit nicht zu überbietender Klarheit gesprochen. Können Sie sich vorstellen, in welchem Zwiespalt Priester stehen, die in diesen brisanten Fragen zwischen der Meinung ihres Ortsordinarius und des Papstes zerrieben werden?

Diese Spannungen – und ihr Name ist Legion – werden „von außen“ als plumper Machtkampf gedeutet, was es aber gar nicht ist. Es geht um die Kirche, die unsere Heimat ist. Es geht um die Autoritäten auf lokaler und universaler Ebene, denen wir Ehrfurcht und Gehorsam versprochen haben. Dieser Konflikt bringt nicht nur die Zartbesaiteten unter uns in ganz arge Bedrängnis. Unser Brief ist deshalb auch ein Hilfeschrei – nicht nur in Richtung Papst, sondern auch in die Richtung unserer Ortsbischöfe.

Unseres Erachtens nach lässt sich oftmals keine Position finden, die nicht entweder die Loyalitätspflicht dem Papst oder aber dem Bischof gegenüber verletzt. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, für welchen Weg sich die meisten Diözesanpriester entscheiden. Warum dieser Weg in den Medien immer noch als „mutig“ gilt, werde ich wohl nie verstehen. Welchen Mut braucht es, um hierzulande den Papst öffentlich abzukanzeln? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Schließlich: Es gibt einen noch verheerenderen Weg, diesen Zwiespalt in Sachen Gehorsam zu lösen: Viele Priester legen sich theologisch und pastoral überhaupt nicht mehr fest. Sie nutzen den Dissens zwischen Orts- und Weltkirche, um sich zurückzuziehen und sich jeden Urteils vollständig zu enthalten – aus Angst, zwischen die Lager zu geraten. Die fatalen Folgen für die Pfarrgemeinden habe ich bereits oben angedeutet. Die Leute wissen doch gar nicht mehr, was gilt. Sie sind der Diktatur des Relativismus in einer Weise ausgeliefert, die jeder Beschreibung spottet. Und wiederum: Es geht um den Glauben.

Kirchliche Umschau: Warum schert kein Bischof aus – auch keiner denen, die in unserem Land als „konservativ“ und „papsttreu“ gelten – und sagt öffentlich: „Da mach ich nicht mit! Das decke ich nicht durch mein Schweigen!“ Wenn nicht jetzt, wann dann?


Pfarrer Hendrick Jolie:
Das Ziel des Priesternetzwerks ist ja, Bischöfe zu ermutigen, den päpstlichen Weisungen zum Durchbruch zu verhelfen. Sicher gibt es nicht wenige Oberhirten, die angesichts der deutschen Sonderwege in großer Sorge sind. Zwischen den Zeilen können Sie das aus vielen Verlautbarungen herauslesen. Unsere Hirten sollen wissen, dass Sie nicht alleine dastehen, wenn Sie sich entschiedener auf die Seite des Papstes stellen. Es sind zahlreiche Priester und Gläubige da, die auf ein Zeichen der Solidarität mit dem Heiligen Vater warten – ein Zeichen, dass sich eben nicht in Worten erschöpft, sondern dass sich an konkreten Taten ablesen lässt.

Einem Bischof fällt es viel leichter, eine römische Instruktion in seiner Diözese umzusetzen, wenn er weiß, auf welche Priester und Gläubigen er sich bei den Problemen der Umsetzung verlassen kann. Wir sind sicher, dass insbesondere das Pontifikat eines deutschen Papstes eine Gnadenstunde für die Kirche ist, die wir in Deutschland nicht einfach verstreichen lassen sollten. Warum tanzt seit dem Tod des Fuldaer Bischofs Johannes Dyba so selten ein Oberhirte aus der Reihe? Das ist schwer zu sagen, hier kann nur spekuliert werden. Die Causa Mixa hat jedoch gezeigt, dass das bischöfliche Verhalten „Abweichlern“ gegenüber alles andere als brüderlich sein kann, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Mag sein, dass hier die Angst regiert. Darüber will ich nicht spekulieren.

Kirchliche Umschau: Wir sollten beten, dass die bischöfliche Hirtensorge für die Erhaltung des Glaubens wieder neu erwache und man glaubenszersetzende Äußerungen von Mitbrüdern nicht einfach als „Meinungsverschiedenheit“ unwidersprochen lässt. Wie kann man Ihrer Meinung nach die priesterliche Seele wieder aufleuchten lassen, die sacerdotale Spiritualität zurückgewinnen?


Pfarrer Hendrick Jolie:
Priestertum und Meßopfer gehören zusammen. Der Gehorsam des Priesters zeigt sich zuallererst in der Darbringung des Meßopfers. Wie wollen Sie den Gehorsam Christi rituell darstellen, wenn Sie sich gleichzeitig narzisstisch im Ausprobieren immer neuer Mätzchen produzieren?

Der Papst hat nun den „Alten Ritus“ rehabilitiert, und meiner Erfahrung nach ist dieser Ritus eine herausragende Schule des Gehorsams. Der Priester lässt sich von den Vorgaben dieses Ritus in einer Weise prägen, die dem neuen Ritus fremd ist. Hier ist alles vorgegeben – jedes einzelne Wort, ja selbst die Kopfverneigungen und die Art der Handhaltung. Ich kannte diesen Ritus nicht aus Kindertagen, muss Ihnen aber sagen: Nachdem ich diesen Ritus erlernt hatte und meine „Primiz“ in der außerordentlichen Form des römischen Ritus feierte, da ergriff mich ein Gefühl des Nachhausekommens: Hier bist du als Priester bei dir und dem lieben Gott angekommen.

Menschen aus meiner Gemeinde, die liturgisch überhaupt nicht vorgebildet sind – und deshalb nicht wissen können, dass der vorkonziliare Ritus als „böse“ zu gelten hat –, sprechen mittlerweile bzgl. des alten Ritus völlig unbedarft als von der „echten Messe“ – und das drückt genau die Empfindungen aus, die mich selbst ergreifen, wenn ich das „Introibo“ ausspreche: Dieser Ritus bringt das Opfer Christi authentisch und unverstellt zum Ausdruck, er ist sakraler, mehr auf das Wesentliche bezogen, ehrfürchtiger – und er nimmt den Priester stärker in die Schule des Gehorsams, was sehr wichtig ist.

Mag sein, dass mich einige für verrückt halten, aber nach meiner festen Überzeugung ist die alte Messe notwendig zur Gesundung der Kirche. Wir brauchen ganz dringend eine Reform der Reform. Und wir brauchen Bischöfe, die die großen liturgischen Anliegen des gegenwärtigen Papstes aufgreifen, anstatt sie zu blockieren, wobei wir wieder beim Thema Gehorsam wären.

Hw. Pfarrer Dr. Rodheudt aus Aachen, der mit mir und Hw. Pfarrer Winkel aus Fulda zum Sprechergremium des Priesternetzwerkes gehört, hat einmal gesagt: „Die alte Messe braucht eine Avantgarde, die sie auf den Leuchter zurückstellt. Sie ist die Messe von morgen, weil es ohne sie kein Morgen geben wird.“ Manche mögen das pathetisch finden. Ich bin sicher, dass er recht hat. In diesem Sinne wollen wir Avantgarde sein.

Kirchliche Umschau: Was würden Sie einem Bischof raten?

Pfarrer Hendrick Jolie: Das Netzwerk katholischer Priester hat mehrfach versucht, mit den Bischöfen in Kontakt zu treten. Wir bedauern es, daß dieser Kontakt oftmals verweigert wird und wir zu öffentlichen Erklärungen und Veröffentlichungen im Internet greifen müssen, um unsere Meinung kundzutun. Unsere Botschaft an jeden Bischof ist – bei allem Respekt – eindeutig und klar.

Sie lautet:

Exzellenz bedenken Sie, dass der Papst es noch viel schwerer hat und dass er Mitbrüder im deutschen Episkopat braucht, die ihm den Rücken stärken, damit sich in Deutschland etwas zum Guten, d.h. zum Heil der Kirche und der Seelen, bewegt. – Gegen eine Krankheit muss angekämpft werden, ansonsten breitet sie sich immer mehr aus. Und jeder Kampf verlangt eine eindeutige Positionierung! Nur so können Sie den Seelen, für die Sie verantwortlich sind, Klarheit schenken in dieser Zeit teuflischer Verwirrung und ihnen den Weg zeigen, der zur ewigen Heimat führt.

Wir bitten Sie um diese Klarheit in der lehramtlichen Verkündigung. Wir bitten Sie um deutliche Distanzierung von den Häresie-begünstigenden Aussagen bestimmter Mitbrüder. Wir bitten Sie, sich in Wort und Tat – notfalls im Alleingang – als pastor proprius ihrer Diözese, hinter den Papst zu stellen in den konkreten Punkten, in denen der Papst aktuell bemüht ist, die traditionelle Lehre der Kirche gegen Angriffe von innen zu stützen:

Erfüllen Sie durch einen Diözesanerlass den Wunsch des Papstes, zu der richtigen Version der Wandlungsworte zurückzukehren. Wiederholen Sie öffentlich die Mahnung des Papstes, daß es nicht Gegenstand der Diskussion sein kann, Frauen Anteil am Weihesakrament zu gewähren, auch nicht am Diakonat, eben weil dies unmöglich ist, da es nicht der geoffenbarte Wille Gottes ist. Stärken Sie dem Papst gegen verschiedene Ihrer Mitbrüder den Rücken, indem auch Sie erklären, dass der Zölibat auf die apostolische Lebensweise und das Beispiel unseres Herrn zurückgeht und darum keinesfalls verhandelt werden kann.

Kirchliche Umschau: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Hw. Pfarrer Hendrick Jolie aus dem Bistum Mainz führte KU-Redakteur Jens Mersch.

Quelle

Die Kirche ist selbst ein Missbrauchsopfer

Aus einem Interview des Magazins der Süddeutschen Zeitung (19/10) mit Martin Mosebach.

„SZ-Magazin: Herr Mosebach, ist Ihr Vergnügen, katholisch zu sein, im Moment geringer als sonst?
Martin Mosebach: Zweifellos, aber zugleich hat sich für mich in den letzten Wochen wunderbar bestätigt, dass es keine Alternative zur Kirche gibt … Das Leiden eines Christen dürfte doch zunächst darin bestehen, dass er selbst ein schlechter Christ ist. Vor dieser Frage tritt das Versagen der kirchlichen Institution sehr weit zurück.

SZ: Für die Opfer aber nicht. Leiden Sie auch mit ihnen?
MM: Was für eine Frage! Jeder fühlende Mensch empfindet Mitleid, wenn ihnen das Opfer eines Verbrechens begegnet.

SZ: Trotzdem hat die Institution Kirche Missbrauch ermöglicht und vertuscht.
MM: Selbstverständlich hat die Kirche keinen Missbrauch ermöglicht. Einzelne Priester haben ihr Gelübde gebrochen und die Kirche verraten. Die Kirche ist selbst ein Missbrauchsopfer.

SZ: Was ist mit dem Canisius-Kolleg und dem Kloster Ettal?
MM: Sie sprechen das Verschweigen und Vertuschen der Verbrechen an. Nach dem 2.Vatikan. Konzil hat die Kirche von sich selbst ein Bild geschaffen, das nicht auf Sünde und Schuld, sondern auf Vergebung, Nachsicht und Barmherzigkeit beruht. Es ist tragisch, dass dadurch eine Grundstimmung erzeugt wurde, in der solche Straffälle nicht ernst genug genommen wurden.

SZ: Der Jesuitenpater und Rektor des Canisius-Kollegs Klaus Mertes hat von einem „katholischen Geschmack des Missbrauchs“ gesprochen.
MM: Das ist ein übles Wort. Das Christentum hat doch den Schutz der Kinder erst in die Welt gebracht, gegen die heidnische Praxis, auch gegen alle übrigen Kulturen der Welt. Jesus spricht davon, dass jedes Kind einen Engel hat, der Gott ansieht. Und jeder, der sich an einem Kind vergreift, sollte einen Mühlstein um den Hals gehängt bekommen und ersäuft werden. Deshalb sind die Missbrauchsfälle für die Kirche ja so eine Katastrophe, ausgerechnet ein Kernanliegen wurde missachtet.

SZ: Trotzdem hat sich die Kirche bis jetzt weit mehr mit den Tätern als mit den Opfern beschäftigt.
MM: Weil die Opfer, geistlich gesprochen, in viel geringerer Gefahr sind. Es sind die Täter, die in Gefahr sind, das Leben ihrer Seele zu verlieren. Jesus hat gesagt, er sei als Arzt zu den Kranken gekommen, nicht zu den Gesunden.

SZ: Für die Opfer muss diese Logik zynisch klingen.
MM: Nicht, wenn sie die Logik Jesu verstanden haben… Friedrich Schlegel schreibt schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass der Islam eine umsetzbare und erfüllbare Religion sei, während das Christentum unerfüllbar sei und sich sogar häufig genug im schreienden Gegensatz zu den Intentionen seines Gründers befinde. Genau darin aber liege die Stärke des Christentums.

SZ: Ist es nicht bigott, seine Legitimation aus einem notwendigen Scheitern zu ziehen?
MM: Nein, die Überforderung aus Prinzip verhindert die Banalisierung des Christentums. Was erfüllbar ist, ist banal. Der menschliche Geist erlahmt, wenn er sich nicht unerfüllbare Ziele setzt.

SZ: Auch der Zölibat scheint viele Geistliche zu überfordern.
MM: Vor dem zweiten Vaticanum hatten Priester ein Korsett, einen Halt, und zwar einen geistlichen und einen physischen, der den Priester jeden Tag daran erinnert hat, dass er ein homo excitatus a deo ist ein Mensch, der von Gott herausgerufen ist. Er trug die Sutane mit den 33 Knöpfchen oder den schwarzen Anzug mit dem hohen steifen Kragen. Er las jeden Tag die Messe und betete jeden Tag das große Brevier. Er war nie Privatmann, sondern fest eingebunden in Befehl und Gehorsam, was in der modernen Kirche weitgehend weggefallen ist. Heute machen Priester Urlaub, haben einen liturgiefreien Tag und ein modernes Apartment mit CD-Player und Flachbildschirm.

SZ: Gönnen Sie ihnen das nicht?
MM: Doch, sollen sie alles haben, nur macht diese Freiheit es ihnen viel schwerer, den Anforderungen ihres Amtes zu entsprechen. Der Priester verkörpert Jesus Christus. Wie soll das glaubwürdig gelingen, wenn er spurlos in der Zivilgesellschaft aufgeht?“
Quelle: Süddeutschen Zeitung (19/10)