(Fortsetzung: Der große Abfall – zurück – weiter)
Dabei wies er auf die leeren Plätze der Tribüne.
Mit freudigen Ausrufen „Gratias agimus, Domine! Saivum fac magnum imperatorem …“ stiegen fast alle Fürsten der katholischen Kirche, Kardinäle und Bischöfe, die Mehrzahl der gläubigen Laien und mehr als die Hälfte der Mönche auf die Tribüne, verbeugten sich dort tief vor dem Imperator und nahmen die für sie bereitgehaltenen Sitze ein. Doch unten, inmitten der Versammlung, blieb Papst Petrus II. sitzen, aufrecht und unbeweglich wie eine Marmorstatue. Alle, die ihn umgeben hatten, saßen jetzt auf der Tribüne. Die gelichtete Menge der Mönche und Laien, die unten geblieben war, näherte sich ihm und umgab ihn in einem dichten Kreis, aus dem verhaltene Rufe laut wurden: „Non pracvalebunt, non praevalebunt portae inferni!“
Der Imperator blickte erstaunt den in unbeweglicher Ruhe verharrenden Papst an. Von neuem erhob er seine Stimme: „Liebe Brüder! Ich weiß wohl, daß es einige unter Euch gibt, für die das Teuerste im Christentum die heilige Überlieferung, die alten Symbole, die alten Hymnen und Gebete, die Ikonen und die Liturgie sind. Und in der Tat: Was kann einer frommen Seele teurer sein als diese?
Vernehmet, Geliebte, daß ich heute eine Urkunde unterschrieb und reiche Mittel aussetzte für die Errichtung eines Weltmuseums der christlichen Archäologie in unserer ruhmreichen Kaiserstadt Konstantinopel. Dort sollen die Denkmäler des kirchlichen Altertums und besonders der Ostkirche gesammelt, erforscht und aufbewahrt werden. Euch aber bitte ich, morgen aus Eurer Mitte eine Kommission zu wählen, die mit mir jene Maßnahmen prüfen soll, die geeignet erscheinen, die Sitten und Gebräuche des modernen Lebens soweit als möglich den Überlieferungen und Vorschriften der heiligen orthodoxen Kirche anzugleichen.
Meine Brüder aus der Orthodoxie! Alle, die im Herzen den gleichen Wunsch hegen wie ich, alle, die mich aufrichtig ihren Führer und Herrn nennen können, mögen zu mir heraufsteigen.“
Die meisten der Hierarchen des Ostens und Nordens, die Hälfte der einstigen Altgläubigen, mehr als die Hälfte aller orthodoxen Priester, Mönche und Laien bestieg daraufhin mit Freudenrufen die Tribüne, nicht ohne heimliche Seitenblicke auf die Katholiken, die dort schon stolz Platz genommen hatten. Vater Johannes aber seufzte tief auf, ohne sich von der Stelle zu rühren. Als die Schar um ihn sich stark gelichtet hatte, verließ er seinen Sitz und setzte sich in die Nähe des Papstes Petrus und seines Anhanges. Ihm folgten auch die anderen Orthodoxen, die nicht auf die Tribüne gegangen waren.
Neuerlich ergriff der Imperator das Wort: „Ich kenne auch solche unter Euch, liehe Christen, denen im Christentum die persönliche Überzeugung von der Wahrheit und die freie Erforschung der Heiligen Schrift über alles geht. Was ich selbst davon halte, muß ich wohl nicht betonen. Denn Ihr wißt vielleicht, daß ich schon in meiner Jugend ein großes Werk über die Bibelkritik veröffentlicht habe, das damals Aufsehen erregte und meinen Ruhm begründete. In Erinnerung daran hat mich wahrscheinlich auch dieser Tage die Universität Tübingen gebeten, von ihr die Würde eines Ehrendoktors der Theologie anzunehmen. Ich habe antworten lassen, daß ich diese Ehrung mit Freude und Dank annehme.
Heute aber habe ich zugleich mit der Gründung des Museums für das christliche Altertum auch die Errichtung eines Weltinstitutes zur freien Erforschung der Heiligen Schrift beschlossen.
Dieses Institut wird die Heilige Schrift nach allen nur möglichen Richtungen und von allen Gesichtspunkten aus durchforschen und den dazu erforderlichen Hilfswissenschaften jede Förderung angedeihen lassen. Für diesen Zweck habe ich eine Summe von anderthalb Millionen Mark jährlich ausgesetzt. Wer von Euch diese aufrichtige Absicht gutheißt und mich ohne Gewissenszweifel als Oberhaupt anerkennt, nehme hier seinen Platz neben dem neuen Ehrendoktor der Theologie ein.“
Bei diesem Worte verzog sich der schöne Mund des großen Mannes zu einem eigenartigen Lächeln.
Mehr als die Hälfte der gelehrten Theologen ging auf die Tribüne zu, wenngleich auch zögernd und schwankend. Alle blickten sie auf Professor Pauli, der auf seinem Sitze wie angewurzelt schien. Er hielt sein Haupt gesenkt und saß in sich zusammengesunken da. — Einige der gelehrten Theologen, die auf die Tribüne stiegen, wurden unter diesem Anblick verlegen. Einer von ihnen streckte plötzlich abwehrend die Hände aus, sprang zurück und lief ein wenig hinkend zu Professor Pauli und der kleinen, noch bei ihm verbliebenen Schar. Dieser erhob nun das Haupt, stand etwas unsicher auf, ging, von seinen Glaubensgenossen gefolgt, an den verlassenen Bänken vorbei und ließ sich neben dem Vater Johannes und Papst Petrus und deren Anhängern nieder.
Auf der Tribüne befand sich nun die überwiegende Mehrheit des Konzils und mit ihr fast die gesamte Hierarchie des Ostens und Westens.
Unten waren nur drei kleine Gruppen verblieben, die sich, nahe zusammengerückt, um Vater Johannes, Papst Petrus und Professor Pauli scharrten. Mit trauriger Stimme wandte sich nun der Imperator an sie: „Was kann ich noch für Euch tun, Sonderlinge, die Ihr seid? „Was verlangt Ihr von mir? Ich weiß es nicht. Sagt es mir doch selbst. Ihr Christen, die Ihr von der Mehrzahl Eurer Brüder und Eurer Führer verlassen und durch die Stimme der Völker verurteilt seid, sagt es mir doch selbst, was Ihr am Christentum am meisten schätzt!“
Da erhob sich, weiß wie eine Kerze, der greise Vater Johannes und antwortete mit sanfter Stimme: „Großer Herrscher! Christus selbst ist uns das Teuerste am Christentum. – Er selbst und alles, was von Ihm kommt, denn wir wissen, daß in Ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt. Von Dir aber, Herrscher, sind wir bereit, jede Wohltat anzunehmen, wenn wir nur in Deiner mildtätigen Hand die heilige Rechte unseres Erlösers erkennen. Und auf Deine Frage, was Du noch für uns tun könntest, geben wir Dir unsere einfache Antwort: Bekenne offen, jetzt, vor uns, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der Mensch wurde, auferstanden ist und wiederkommen wird — bekenne Ihn und wir werden Dich vom Herzen als den wahren Vorläufer Seiner herrlichen Wiederkunft anerkennen.“
(Fortsetzung folgt)