Erbsünde: beweisbare Theologie

Gewisse Theologen von heute bestreiten die Erbsünde, das einzige Stück der christlichen Theologie, das wirklich beweisbar ist.

Einige Anhänger des Reverend R.J. Campbell*[1], die einer geradezu überkandidelten Spiritualität huldigen, bekennen sich zur göttlichen Sündlosigkeit, deren sie nicht einmal im Traum ansichtig werden können. Dagegen leugnen sie im Kern die menschliche Sündhaftigkeit, die sie an jeder Straßenecke antreffen können. Die bedeutendsten Heiligen wie auch die entschiedensten Skeptiker nahmen die Gegebenheit des Bösen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.

Falls es stimmt (und das tut es), dass ein Mensch mit innigem Vergnügen einer Katze bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren zu ziehen vermag, dann zwingt das den religiösen Philosophen zu einem von zwei Schlüssen: Entweder er muss die Existenz Gottes leugnen, wie es die Atheisten machen, oder er muss bestreiten, dass sich der Mensch gegenwärtig im Einklang mit Gott befindet (also sündigt), wie es die Christen machen. Die neuen modernistischen Theologen dagegen scheinen es für eine äußerst kluge Lösung zu halten, die Katze zu leugnen.

Aus: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt II: Der Besessene


[1] Reginald John Campbell (1867 bis 1956), kongregationalistischer Geistlicher und berühmter Prediger, der christliche Glaubensvorstellungen mit modernen kritischen Ansichten und Überzeugungen in Einklang zu bringen suchte.

[2] Der Modernismus ist eine um 1900 entstandene Richtung in der katholischen Theologie, die danach strebt, die Religion ans moderne Bewusstsein anzupassen, und die den übernatürlichen Charakter von Glaube, Dogma und Kirche bestreitet.