Entfesselte Tugenden

Die moderne Welt ist nicht böse; in mancher Hinsicht ist sie entschieden zu gut. Sie ist voll Wüsten und vergeudeter Tugenden. Wenn ein religiöses System zertrümmert wird (wie das mit dem Christentum in der Reformation geschah), dann führt das nicht nur zu einer Entfesselung der Laster.

Keine Frage, dass die Laster entfesselt werden; sie streifen umher und stiften Schaden. Aber auch die Tugenden werden entfesselt, und sie streifen noch haltloser umher und richten noch schrecklicheren Schaden an.

Die heutige Welt steckt voll von alten christlichen Tugenden, die durchgedreht sind. Sie sind durchgedreht, weil sie auseinander gerissen wurden und allein umherstreifen.

So kümmert sich etwa die Wissenschaft um die Wahrheit; und ihre Wahrheit ist erbarmungslos. Und so interessiert sich die Philanthropie nur fürs Erbarmen, und ihrem Erbarmen fehlt (so leid es mir tut, das sagen zu müssen) oft die Wahrheit.

Mr. Blatchford[1] zum Beispiel greift das Christentum an, weil er verrückt nach einer einzigen christlichen Tugend ist: der für sich genommen mystischen und fast irrationalen Tugend der Barmherzigkeit. Er hegt die merkwürdige Vorstellung, daß es leichter sei, Sünden zu vergeben, wenn man davon ausgeht, daß es gar keine Sünden gibt, die vergeben werden müssten.

Mr. Blatchford ist nicht nur ein Vertreter des Frühchristentums, er ist auch der einzige frühchristliche Mensch, der es wirklich verdient hätte, von den Löwen gefressen zu werden. Denn auf ihn trifft die heidnische Beschuldigung tatsächlich zu: seine Barmherzigkeit liefe auf schiere Anarchie hinaus. Er ist wirklich ein Feind der Menschheit – weil er so menschenfreundlich ist.

Quelle: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt III. DER SELBSTMORD DES DENKENS

[1] Robert Peel Glanville Blatchford (1851-1943), englischer Sozialreformer, Begründer der Manchester Fabian Society und Herausgeber des Clarion. Zu Chesterton und Blatchford vgl. das Nachwort von Philip Yancey.

Kindertag in Neustadt

Kindertag

für Jungen und Mädchen
von 7 bis 14 Jahren
in Neustadt a.d. Weinstraße

Foto: wikipedia

am Samstag, den 15. Oktober 2011
Beginn: 10 Uhr
Ende: 17 Uhr
Ort: Casimirianum, Ludwigsstr. 1, Neustadt

Auf dem Programm stehen:

  • Kennenlernrunde
  • Spielfilm über Fatima
  • Mittagessen und Nachmittagsimbiss
  • Spiele
  • Gesprächsrunde
  • Bibelquiz mit vielen Preisen
  • Sakramentsandacht

Es steht den Eltern die Möglichkeit offen, dabeizusein.

 

Foto: Pfalz.de

Monogamie

Ich habe mich nie mit dem verbreiteten Gemurre gegen die Monogamie anfreunden können, das die neue Generation anstimmt, weil ich finde, daß keine Einschränkung der sexuellen Freiheit an Unfaßlichkeit und Unerhörtheit die Sexualität selbst übertreffen kann. Wie Endymion die Mondgöttin lieben zu dürfen und sich dann zu beschweren, daß Jupiter sich einen Harem von Mondgöttinnen hält, erscheint mir (der ich mit Märchen wie dem von Endymion aufgewachsen bin) als vulgäre Entgleisung.

Sich auf eine Frau zu beschränken ist ein geringer Preis dafür, daß man überhaupt von einer Frau gewürdigt wird. Sich zu beklagen, daß man nur einmal heiraten kann, ist so, als beklagte man sich, daß man nur einmal geboren wird. Diese Haltung stand in völligem Widerspruch zu der ungeheuren Erregung, um die es dabei ging. Sie bewies nicht etwa besondere Aufgeschlossenheit für die Sexualität, sondern im Gegenteil eine merkwürdige Unempfänglichkeit für sie.

Nur ein Narr bedauert, daß er den Garten Eden nicht durch fünf Tore gleichzeitig betreten kann. Polygamie ist ein Mangel an Fähigkeit, das Potential der Sexualität zu realisieren; sie erinnert an einen Menschen, der eine Birne essen will und geistesabwesend fünf abpflückt.

Quelle: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt IV. DIE ETHIK DES ELFENLANDES

Kleiner Kosmos

Nehmen wir den ziemlich viel sagenden Fall des Materialismus. Als Welterklärung ist der Materialismus von einer irrsinnigen Schlichtheit. Er ist von haargenau derselben Art wie die Argumentation eines Verrückten; er vermittelt gleichzeitig den Eindruck, alles einzubegreifen und nichts zu erfassen.

Schauen wir uns einen kompetenten und ehrlichen Materialisten wie Mr. McCabe[1] an, so lässt er uns genau mit diesem eigentümlichen Gefühl zurück. Er begreift alles, und was er begreift, scheint das Begreifen gar nicht zu lohnen. Sein Kosmos mag bis zum letzten Nietnagel und Zahnrädchen vollständig sein, und doch ist er kleiner als unsere Welt.

Wie der luzide Aufriss des Verrückten scheint auch sein Entwurf von den fremdartigen Kräften und der großen Unbekümmertheit unseres Planeten nichts zu wissen; er weiß nichts von den wirklichen Dingen auf Erden, den kämpfenden Völkern oder stolzen Müttern, der ersten Liebe oder der Todesangst auf dem offenen Meer. Die Erde ist so ungeheuer groß und der Kosmos so außerordentlich klein. Der Kosmos ist so ziemlich das kleinste Loch, in dem ein Mensch seinen Kopf verstecken kann.

Quelle: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt II: Der Besessene


[1] Joseph M. McCabe (1867-1955), ein Franziskanermönch, der seinem Glauben abschwor und sein Leben der Aufgabe widmete, im Namen der Vernunft die christliche Religion zu bekämpfen. Chestertons Auseinandersetzung mit McCabe findet sich in Ketzer (Die Andere Bibliothek, Nr.165, Frankfurt a. M. 1998, S.207-221) das, wie er einleitend berichtet, durch die Kritik, die es hervorrief, zum Anlaß für das vorliegende Buch wurde.