Kurze Erzählung vom Antichrist (07)

(Fortsetzung: Das Friedensreich des Imperators – zurückweiter)

Da und dort gab es in Asien noch unabhängige Stämme und Reiche. Mit einem kleinen, aber auserlesenen Heer aus Russen, Deutschen, Polen, Ungarn und Türken unternahm der Imperator einen militärischen Spaziergang von Ostasien bis Marokko und unterwarf fast ohne Blutvergießen alle noch ungehorsamen Völker. In den Ländern beider Hemisphären setzte er seine Statthalter ein, die er unter den ihm ergebenen und europäisch gebildeten einheimischen Großen erwählte. In allen heidnischen Ländern rief ihn die Bevölkerung unter dem Eindruck seiner bezaubernden Persönlichkeit zur obersten Gottheit aus.

Ein Jahr hatte genügt, um die Weltmonarchie im wahrsten Sinne des Wortes zu begründen. Alle Kriegsursachen wurden mit der Wurzel beseitigt. Der Weltbund der Pazifisten trat zum letzten Male zusammen, feierte auf seinem letzten Kongreß begeistert den Kaiser des allgemeinen Friedens und löste sich dann auf, da sein Ziel erreicht war.
Zu Beginn des zweiten Jahres seiner Regierung erließ der Imperator ein neues Manifest: „Völker der Erde! Ich habe Euch den Frieden gegeben, den ich Euch versprochen habe. Doch nur bei Wohlstand ist der Friede begehrenswert. Wenn jemand im Frieden von Not und Elend bedroht ist, dann erquickt auch der Friede nicht. So kommt denn alle zu mir, die Ihr hungert und friert, ich will Euch speisen und ich will Euch bekleiden.“

Im Anschluss daran verkündete er jene einfache und umfassende Sozialreform, mit der er schon in seinem Buche alle bedeutenden und vernünftigen Köpfe gewonnen hatte. Dank der einheitlichen Verwaltung und Kontrolle der Weltfinanzen sowie eines gewaltigen Grundbesitzes konnte der Imperator diese Reform durchführen. Er befriedigte die Armen, ohne die Reichen allzu fühlbar zu treffen. Jeder erhielt seinen Anteil entsprechend den Fähigkeiten, die er durch Arbeit und Verdienst bewies.

Der neue Weltherrscher war vor allem ein mitleidiger Menschenfreund, aber er liebte und schützte auch die Tiere. Er selbst war Vegetarier, verbot die Vivisektion und stellte die Schlachthäuser unter strenge Kontrolle. Den Tierschutzvereinen wurde seine besondere Förderung zuteil. Weit wichtiger als diese Anordnungen war der Erlaß eines Grundgesetzes, das entsprechend der allgemeinen Gleichheit der Menschen auch die Gleichheit in der Ernährung festlegte.

Diese Reform wurde im zweiten Jahre seiner Regierung durchgeführt. Damit war die soziale und die wirtschaftliche Frage endgültig gelöst. Wenn aber die Sättigung für die Hungernden das Wichtigste ist, so haben die Gesättigten andere Bedürfnisse. Selbst satte Tiere wollen gewöhnlich nicht nur schlafen, sondern auch spielen. Wieviel mehr die Menschen! Immer noch haben sie nach dem Brot auch Spiele verlangt. Der kaiserliche Übermensch wußte, was seine Völker begehrten.

Während eines Aufenthaltes in Rom suchte ihn ein Wundertäter aus dem Fernen Osten auf, den wie eine Wolke merkwürdige Erzählungen und seltsame Legenden begleiteten. Der Wundertäter sollte nach Gerüchten, die unter den Neobuddhisten verbreitet waren, göttlichen Ursprungs sein: der Sohn des Sonnengottes Surja und einer Flußnymphe.

Der Wundertäter, der sich Apollonius nannte, war unbestreitbar ein genialer Mensch. Seiner Abstammung nach halb Asiate, halb Europäer, war er als katholischer Bischof in der Heidenmission tätig. In einzigartiger Weise vereinigte er die Kenntnis der jüngsten theoretischen Ergebnisse der Wissenschaft des Westens samt ihrer technischen Anwendung mit der Beherrschung von Theorie und Praxis alles dessen, was die überlieferte Mystik des Ostens an Gültigem und Bedeutendem hervorgebracht hatte. Die Früchte einer solchen geistigen Synthese waren erstaunlich. So besaß er unter anderem die halb wissenschaftliche, halb magische Gabe, die atmosphärische Elektrizität nach seinem Willen anzuziehen und zu lenken. Das Volk sagte, er hole das Feuer vom Himmel. Immer wieder aber fesselte er die Phantasie der Massen durch unerhörte Gaukeleien, doch nie missbrauchte er seine Macht, um niedrigen Zwecken zu dienen.

Dieser Mann erschien nun vor dem großen Imperator. Er huldigte ihm als dem wahren Sohn Gottes, über den er in Geheimbüchern des Ostens bedeutsame Voraussagen entdeckt hätte. Dort sei zu lesen, der Imperator werde in dieser Würde zugleich der letzte Erlöser und Richter der Welt sein. Schließlich stellte er sich selbst und seine Kunst dem Imperator zur Verfügung. Der Imperator sah in ihm ein Geschenk des Himmels, zeichnete ihn mit prunkenden Titeln aus und machte ihn zu seinem ständigen Begleiter. So erhielten die Völker der Erde zu den Wohltaten des Weltfriedens und der Befriedigung ihres Hungers auch noch die Möglichkeit, sich ohne Unterlaß an den verschiedenartigsten und überraschendsten Wundern und Zaubereien zu ergötzen. Damit ging das dritte Jahr der Regierung des Übermenschen zu Ende.

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Kurze Erzählung vom Antichrist (06): Das Friedensreich des Imperators

(Fortsetzung – zurückweiter)

Das Friedensreich des Imperators

Bald nach Erscheinen dieses Werkes, das seinen Verfasser zum volkstümlichsten Mann machte, der je gelebt hatte, sollte in Berlin die konstituierende Versammlung der Vereinigten Staaten Europas stattfinden.
Dieser Bund hatte sich nach einer Reihe äußerer und innerer Kriege gebildet, die als Folge der Befreiung vom Mongolenjoch die Karte Europas grundlegend verändert hatten. Nun aber war der Bund durch Konflikte gefährdet, die aber nicht mehr zwischen den Nationen, sondern unter den politischen und sozialen Parteien ausgetragen wurden.

Die Verantwortlichen der europäischen Gesamtpolitik – sie gehörten zur mächtigen Brüderschaft der Freimaurer – kamen zur Überzeugung, daß eine gemeinsame Exekutivmacht notwendig sei. Die europäische Einheit, die nach so vielen Anstrengungen errungen worden war, lief ständig Gefahr, wieder zu zerfallen.

Im Bundesrat oder dem Verwaltungsdirektorium (Comité Permanent Universel) herrschte keine Einstimmigkeit, da es nicht gelungen war, alle führenden Stellen mit „eingeweihten“ Freimaurern zu besetzen. Im Rate selbst schlossen die unabhängigen Mitglieder untereinander Sonderabkommen und damit drohte ein neuer Krieg. Angesichts dieser Gefahr beschlossen die „eingeweihten“ Freimaurer, die vollziehende Gewalt einer einzigen Person zu übertragen, welche mit hinreichenden Vollmachten ausgestattet werden sollte.

Der geeignetste Kandidat war ein insgeheimes Mitglied des Ordens, eben jener Mann der Zukunft. Er war die einzige Persönlichkeit mit weltberühmtem Namen. Durch gelehrte Arbeiten auf dem Gebiete der Artillerie und durch sein Vermögen mächtiger Kapitalist, unterhielt er überall enge Beziehungen zu Kreisen der Hochfinanz und der Armee. In weniger aufgeklärten Zeiten hätte ihm der Makel seiner Ungewissen Herkunft geschadet. Seine Mutter, eine Person von fragwürdigem Vorleben, war in beiden Hemisphären wohl bekannt und unter vielen, sehr verschiedenen Männern hatten alle das gleiche Recht, sich für seinen Vater zu halten. In einem so fortschrittlichen Jahrhundert, das sogar das letzte sein sollte, konnten ihm derartige Umstände natürlich überhaupt nicht schaden.
Fast einstimmig wurde der Mann der Zukunft auf Lebenszeit zum Präsidenten der „Vereinigten Staaten von Europa“ gewählt.

Als er im überirdischen Glanz seiner jugendlichen Schönheit und Kraft auf der Tribüne erschien und mit hinreißendem Pathos sein Weltprogramm darlegte, beschloß die Versammlung in auflodernder Begeisterung, ihm die höchste Ehre zuteil werden zu lassen. Durch Zuruf wurde ihm der Titel eines römischen Imperators verliehen.
Der große Auserwählte erließ ein Manifest, das mit den Worten begann: „Völker der Erde! Meinen Frieden gebe ich Euch!“ und mit den Sätzen schloß: „Völker der Erde! Die Verheißungen haben sich erfüllt! Der ewige Weltfriede ist gesichert. Jeder Versuch, ihn zu stören, wird sofort auf unüberwindlichen Widerstand stoßen. Denn von jetzt an gibt es auf der Erde nur eine einzige Macht, die stärker ist als alle anderen Mächte, mögen diese getrennt oder gemeinsam vorgehen wollen. Diese Macht ist in meiner Hand vereinigt, in der Hand des bevollmächtigten Auserwählten Europas, in der Hand des Herrschers über alle seine Kräfte. Das Völkerrecht besitzt jetzt endlich jene Sanktionen, die ihm bisher fehlten, von nun an wird kein Staat zu erklären wagen ‚Krieg!‘, wenn ich sage ‚Friede!‘ — Völker der Erde, der Friede sei mit Euch!“

Das Manifest hatte den erwünschten Erfolg. Überall außerhalb Europas, besonders aber in Amerika, bildeten sich starke imperialistische Parteien, die ihre Regierungen veranlaßten, unter verschiedenen Bedingungen mit den Vereinigten Staaten von Europa unter der Führung des Römischen Imperators Bündnisse einzugehen.

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Diözesaner Wallfahrtstag 2012

Diözesaner Wallfahrtstag des lateinischen außerordentlichen Ritus, 2012

St. Philipp von Zell

Am Dienstag den 1. Mai 2012 (Feiertag), 10.00 Uhr, wird in der Wallfahrts- und Pfarrkirche St. Philipp von Zell, in 67308 Zellertal, Ortsteil Zell, ein feierliches  Hochamt im lateinischen Ritus stattfinden.

Zelebrant und Prediger ist der H.H. Domkapitular, Msgr. Dr. Norbert Weis aus Speyer.

Nachmittags um 15.00 Uhr wird uns H.H. Pater Michael Ramm FSSP in der Kirche einen Vortrag über die Schönheiten des außerordentlichen Messritus halten, woran sich eine den Wallfahrtstag beendende, feierliche Sakramentsandacht anschließt, die von Herrn Domkapitular Msgr. Dr. Weis und Herrn Pater Ramm gemeinsam zelebriert wird.

Eine Gelegenheit zum gemeinsamen Mittagessen bietet die Wallfahrtsleitung gegen geringe Kosten im nahen Pfarrhaus an.

Der diözesane Speyerer Wallfahrtstag im außerordentlichen Ritus ist Teil der offiziellen Wallfahrtswoche zu Ehren des Hl. Philipp, dessen Hauptfest mit Sakramentsprozession am darauffolgenden Sonntag, den 6. Mai gefeiert wird.

Die Pfarrei Zell hat den Wallfahrtstag im außerordentlichen Ritus in das diesjährige, offizielle Wallfahrtsprogramm aufgenommen, wofür wir uns bei den Verantwortlichen recht herzlich bedanken.

Näheres zum Hl. Philipp von Zell, einem Lokalheiligen unseres Bistums Speyer, kann man hier nachlesen:

Philipp von Zell – Wikipedia

Kurze Erzählung vom Antichrist (05)

(Fortsetzung: Der Übermensch – zurückweiter)

Schaum vor dem Munde, entflieht er in jagender Hast dem Hause, dem Garten, in die unheimliche und finstere Nacht hinaus. Er eilt einen steinigen Saumpfad bergan. Allmählich legt sich seine Wut. Sie macht einer Hoffnungslosigkeit Platz, die so ausgebrannt und lastend wie diese Felsen, die so dunkel wie diese Nacht ist. Vor einem jähen Abgrund bleibt er stehen, aus der Tiefe hört er einen tosenden Wildbach, der über Geröll hinabstürzt. Eine wilde Qual preßt sein Herz.

Plötzlich rührt etwas an sein Inneres: „Soll ich Ihn beschwören, Ihn fragen, was ich tun soll?“ In der Finsternis erblickt er ein sanftes und trauriges Gesicht. „Er hat Mitleid mit mir … nein, niemals! Er ist nie auferstanden!“
Und er stürzt sich in den Abgrund.

Doch da hält ihn etwas Unfaßbares, etwas wie eine Wassersäule auf. Er fühlt eine Erschütterung wie von einem elektrischen Schlage, und eine geheimnisvolle Kraft wirft ihn zurück. Für einen Augenblick verliert er das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kommt, liegt er wenige Schritte vor dem Abgrund auf den Knien. Vor ihm erstrahlt wie durch Nebel in phosphorischem Licht ein Gesicht. Zwei Augen bohren sich mit unerträglichem und schneidendem Glanz in seine Seele. Erstarrt unter diesem hypnotischen Blick hört er eine Stimme, ohne erraten zu können, ob sie aus seinem Innern oder von außen her kommt. Es ist eine seltsame Stimme, dumpf und dennoch klar, aber seelenlos wie schwingendes Metall.

So, als käme sie aus einer Sprechmaschine, spricht sie ihn an: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe! Warum hast Du nicht mich gesucht? Warum hast Du jenen anderen vorgezogen, den Falschen und seinen Vater? Dein Gott und Dein Vater bin ich. Jener Bettler aber, der Gekreuzigte, ist mir und Dir fremd. Ich habe keinen anderen Sohn als Dich. Du bist der Einzige, der Eingeborene, der Ebenbürtige. Ich liebe Dich und ich fordere nichts von Dir. Du bist so schön, so groß und so mächtig. Vollbringe Dein Werk in Deinem, nicht in meinem Namen. Kein Neid gegen Dich ist in mir. Ich liebe Dich und ich will nichts von Dir. Der andere, jener, von dem Du geglaubt hast, Er sei Gott, forderte von seinem Sohn Gehorsam, unbegrenzten Gehorsam bis zum Kreuzestod — und dann verließ Er ihn. Ich aber werde Dir helfen, ohne etwas von Dir zu fordern. Aus einer uneigennützigen Liebe zu Dir, um Deiner Würde willen werde ich Dir helfen. Empfange meinen Geist! Wie einst mein Geist Dich in Schönheit hervorgehen ließ, so wird er Dich jetzt in Kraft neu erstehen lassen.“

Bei diesen Worten des Geheimnisvollen öffneten sich unwillkürlich die Lippen des Übermenschen. Seinem Gesicht näherten sich die zwei durchdringenden Augen. Er fühlte, wie ein eiskaltes Feuer ihn durchströmte und sein ganzes Wesen erfüllte. Aber zugleich empfand er auch eine nie gekannte Kraft, Kühnheit, Unbeschwertheit und Begeisterung.

Im selben Augenblick erlosch die schimmernde Erscheinung und mit ihr das Augenpaar. Irgendetwas erhob den Übermenschen weit über die Erde hinaus und ließ ihn ebenso plötzlich wieder in seinem Garten, an der Schwelle des Hauses nieder.

Am nächsten Tage waren nicht nur die Besucher, sondern auch die Diener des großen Mannes erstaunt über den vergeistigten Ausdruck seines Gesichtes. Sie wären noch mehr überrascht gewesen, hätten sie sehen können, wie er, eingeschlossen in seinem Arbeitszimmer, mit übernatürlicher Schnelligkeit und Leichtigkeit sein berühmtes Werk schrieb, das den Titel trug: „Offener Weg zum Weltfrieden und allgemeinen Wohlstand.“

Die früheren Schriften und die soziale Tätigkeit des Übermenschen hatten manche strenge Kritik gefunden. Doch diese Kritik war hauptsächlich von rein religiösen Menschen geübt worden, die allein schon deshalb keinen Einfluß besaßen. — Denn es ist ja von jenen Zeiten die Rede, in denen der Antichrist auftrat. Daher hatte man auch kaum auf die Kritiker gehört, die in allen Werken und Reden dieses Mannes der Zukunft Anzeichen einer außerordentlichen Selbstliebe, eines starken Dünkels und den Mangel jeder Einfachheit und wahren Herzenswärme betonten. Sein neues Werk gewann aber selbst einige seiner bisherigen Kritiker und Gegner.

Dieses Buch, unmittelbar nach dem Erlebnis am Abgrunde geschrieben, offenbarte eine vorher noch unbekannte Kraft seines Genies. Es war etwas Allumfassendes, in dem sich alle Widersprüche lösten. Hier vereinigten sich vornehme Ehrerbietung vor den Überlieferungen und Symbolen der Vergangenheit und weitgehender kühner Radikalismus in den politischen wie sozialen Sehnsüchten und Forderungen, unbegrenzte Gedankenfreiheit und tiefstes Verständnis der Mystik, bedingungsloser Individualismus mit begeisterter Hingabe an das Allgemeinwohl, erhabener Idealismus in den Prinzipien und Bestimmtheit wie Lebenserfahrung in den praktischen Entscheidungen.
Und dies alles war durch ein so ideales Künstlertum vereinigt und verbunden, daß jeder Denker und jeder Praktiker das Ganze als seine Meinung auffassen konnte, also ohne etwas für die Wahrheit selbst zu opfern, ohne sich ihretwegen über sein eigenes Ich erheben zu müssen und ohne von seiner eigenen Befangenheit oder seinen Irrtümern ablassen und ihre Mängel berichtigen zu müssen. In kurzer Zeit wurde dieses erstaunliche Buch in alle Kultursprachen und sogar in die Sprachen mehrerer Kolonialvölker übersetzt. Ein ganzes Jahr hindurch waren die Spalten tausender Zeitungen in allen Teilen der Welt ausgefüllt mit Anpreisungen der Verleger und begeisterten Besprechungen der Kritiker. Billige, mit dem Bild des Autors ausgestattete Volksausgaben wurden in Millionen Exemplaren verbreitet. Die ganze Kulturwelt – zu dieser Zeit schon fast der ganze Erdball – war erfüllt vom Ruhme dieses unvergleichlichen, großen und einzigartigen Mannes.

Niemand widersprach diesem Buch, schien es doch tatsächlich die Offenbarung der ungeteilten Wahrheit zu sein. Hier wurde die Vergangenheit mit so viel Gerechtigkeit beurteilt, die Gegenwart so unparteiisch und allseitig gewertet, die schönere Zukunft so überzeugend und anschaulich der Gegenwart nahegebracht, daß jedermann sagte: „Das ist es, was wir nötig haben, hier ist ein Ideal, das keine Utopie und kein Hirngespinst ist.“ – Der begnadete Schriftsteller begeisterte nicht nur die ganze Welt, er war auch jedermann angenehm.

So erfüllte sich das Wort Christi: „Ich kam im Namen meines Vaters und Ihr nehmt mich nicht auf; ein anderer aber wird in seinem eigenen Namen kommen und diesen werdet Ihr aufnehmen.“  Um aufgenommen zu werden, muß man angenehm sein. Allerdings fragten sich einige gottesfürchtige Männer, die im übrigen das Buch sehr lobten, warum Christus darin nicht ein einziges Mal erwähnt würde. Darauf antworteten andere Christen: „Gott sei Dank! In den vergangenen Jahrhunderten wurde alles Heilige oft genug von unberufenen Eiferern entweiht, so daß heute ein wirklich religiöser Schriftsteller hierin sehr vorsichtig sein muß. Wenn aber der Inhalt eines Buches vom wahren Geist des Christentums, von tätiger Liebe und allumfassender Güte durchdrungen ist, was braucht es da noch mehr?“ Und damit gaben sich alle zufrieden.

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Demokratie und Tradition

Ich habe nie verstehen können, wie Menschen zu der Ansicht gelangen, Demokratie und Tradition stünden irgendwie im Gegensatz zueinander.

Es liegt doch auf der Hand, dass Tradition nichts weiter ist als Demokratie in zeitlicher Erstreckung. Tradition baut auf den Einklang gewöhnlicher menschlicher Stimmen statt auf irgendeine vereinzelte oder willkürliche Quelle. Wer zum Beispiel irgendeinen deutschen Historiker gegen die Überlieferung der katholischen Kirche ins Feld führt, der beruft sich auf ein rein aristokratisches Prinzip. Er gibt einem einzelnen Fachmann den Vorrang vor der furchtbaren Überzeugungsmacht einer Masse. Es lässt  sich unschwer einsehen, warum eine Volksüberlieferung mit mehr Ehrfurcht behandelt wird und auch behandelt werden muss als ein Geschichtsbuch.

Die Volksüberlieferung ist normalerweise von der Mehrzahl geistig gesunder Menschen im Dorf geschaffen, während das Buch im Zweifelsfall von dem einzigen Menschen im Dorf geschrieben wird, der verrückt ist. Wer gegen die Tradition geltend macht, dass die Menschen in der Vergangenheit unwissend waren, der gehört inden Cariton Club* , wo er seine Ansichten zum besten geben kann, nebst der Feststellung, dass die Wähler in den Slums Ignoranten sind. Wir können damit nichts anfangen. Wenn wir bei den Alltagsgeschäften der einhelligen Meinung gewöhnlicher Menschen große Bedeutung beimessen, dann ist nicht einzusehen, warum wir diese Meinung gering schätzen sollten, wenn es sich um Geschichte oder Volksüberlieferung handelt.

Tradition lässt  sich als erweitertes Stimmrecht fassen. Tradition bedeutet, dass man der am meisten im Schatten stehenden Klasse, unseren Vorfahren, Stimmrecht verleiht. Tradition ist Demokratie für die Toten. Sie ist die Weigerung, der kleinen, anmaßenden Oligarchie derer, die zufällig gerade auf der Erde wandeln, das Feld zu überlassen. Jeder Demokrat ist dagegen, dass die Menschen durch den Zufall ihrer Geburt Nachteile erleiden; die Tradition verwahrt sich dagegen, dass sie durch den Zufall ihres Todes benachteiligt werden.

Die Demokratie heißt uns, die Meinung keines ehrlichen Mannes zu missachten, selbst wenn es unser Stallknecht ist; die Tradition heißt uns, die Meinung keines ehrlichen Mannes zu missachten, selbst wenn es unser Vater ist. Ich jedenfalls vermag die beiden, Ideen Demokratie und Tradition nicht voneinander zu trennen; mir scheint klar, dass es sich um ein und dieselbe Idee handelt. Bei unseren Beratungen sind die Toten zugegen. Die alten Griechen stimmten mit Steinen ab; jene stimmen mit Grabsteinen ab. All das ist ganz in Ordnung und vorschriftsgemäß, da die meisten Grabsteine wie die meisten Wahlzettel mit einem Kreuz markiert sind.

Aus: G.K. Chesterton: Orthodoxie, Abschnitt IV. DIE ETHIK DES ELFENLANDES

*:Ein streng konservativer politischer Klub, der im Jahre 1832 vom Herzog von Wellington in London gegründet wurde und der heute seine Mitglieder auf strikte Treue gegenüber den Prinzipien der Konservativen Partei vereidigt.

Kurze Erzählung vom Antichrist (04): Der Übermensch

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Der Übermensch

In jener Zeit trat unter diesen Gläubigen ein bedeutender Mann auf – viele hielten ihn für einen Übermenschen, – der weder einen primitiven Geist besaß, noch auch freilich dem Herzen nach ein Kind war. Obgleich er erst dreiunddreißig Jahre zählte, war er durch seinen Genius schon als Denker, Schriftsteller und Sozialreformer berühmt. Trotzdem er um seine große Begabung wußte, unterwarf er sich aus Überzeugung den Geboten des Geistes. So ließ ihn sein klarer Verstand stets auch die Wahrheit des Glaubens erkennen, des Glaubens an das Gute, an Gottes Dasein und an die Offenbarung des Messias. Er glaubte an dies alles, aber er liebte nur sich selbst. Er glaubte an Gott, doch im Abgrund seines Herzens gab er sich selbst unwillkürlich und ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, vor Gott den Vorzug.

Er glaubte auch an das Gute, doch das Auge der Ewigkeit, dem nichts verborgen bleibt, sah, daß dieser Mensch sich vor der Macht des Bösen beugen würde, wenn diese ihn nur zu verführen wüßte – nicht durch Befriedigung von Gefühlen und niederen Leidenschaften, nicht einmal durch die gefährliche Versuchung der Macht – sondern allein dadurch, daß sie seiner maßlosen Selbstliebe schmeicheln würde.

Diese Selbstliebe war aber weder ein instinktiver Drang, noch eine sinnlose Anmaßung. Denn seine außerordentlichen Gaben, seine Schönheit, sein vornehmes Wesen schienen zusammen mit zahlreichen Beweisen von Enthaltsamkeit, Uneigennützigkeit und Wohltätigkeit genügend die ungeheure Selbstliebe zu rechtfertigen, die den Charakter dieses großen Spiritualisten, Asketen und Menschenfreundes bestimmte. Wer hätte ihn anklagen dürfen, daß er in der Fülle dieser Gottesgaben ein sichtbares Zeichen der Auserwählung von oben her erblickte und sich als den Zweiten nach Gott, als den in seiner Art einzigen Sohn Gottes ansah? Mit einem Wort, er hielt sich für Jenen, der in Wahrheit Christus allein ist.

Doch das Bewußtsein seiner hohen Würde war für ihn nicht eine sittliche Verpflichtung gegenüber Gott und der Welt, vielmehr ein Vorrecht gegenüber seinen Nächsten und vor allem gegenüber Christus. Nicht, daß er von Anfang an Jesus gehaßt hätte, nein, er anerkannte dessen messianische Berufung und Würde. In gutem Glauben sah er in Ihm nur seinen großen Vorläufer. Diesem von der Selbstliebe trunkenen Verstand blieb die sittliche Sendung und die einzigartige Erscheinung Christi unfaßbar.

Er urteilte so: „Christus ist vor mir gekommen, ich komme als zweiter. Was aber in der Zeit nachfolgt, ist seinem Wesen nach übergeordnet. Ich komme am Ende der Geschichte, weil ich der vollkommene und endgültige Erlöser bin. Der erste Christus ist mein Vorläufer. Seine Aufgabe war, mir vorauszugehen und meine Erscheinung vorzubereiten.“

Daher bezog der große Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts alles auf sich, was im Evangelium von der Wiederkunft des Herrn gesagt wird. Er erklärte diese Wiederkunft nicht als die Rückkehr des ersten Christus, sondern so, daß nunmehr der Vorläufer durch den wahren Christus ersetzt würde, nämlich durch ihn selbst.
Auf dieser Stufe des Selbstbewußtseins war der kommende Mann noch wenig originell und charakteristisch. Auch Mohammed hatte sein Verhältnis zu Christus ähnlich aufgefaßt. Und Mohammed war gerecht und konnte keiner bösen Absicht bezichtigt werden.

Im übrigen suchte dieser Mensch seine Selbsteinschätzung, mit der er sich über Christus erhob, noch durch folgende Überlegung zu rechtfertigen: „Christus hat durch Predigt und lebendiges Beispiel des Sittengesetzes die Menschheit gebessert. Ich aber bin ausersehen, der Beglücker aller Menschen zu sein, seien sie schon gebessert, seien sie unverbesserlich.

Ich werde allen Menschen das geben, dessen sie bedürfen. Christus hat als Moralist die Menschen nach Guten und Bösen geschieden, ich aber werde sie durch Wohltaten wieder vereinigen, die sowohl die Guten als auch die Bösen nötig haben. Ich werde der wahre Statthalter Gottes sein, der seine Sonne scheinen läßt für Gute und Böse in gleicher Weise, der Regen spendet den Gerechten und Ungerechten. Christus hat das Schwert gebracht, ich hingegen werde den Frieden bringen. Er bedrohte die Erde mit der Furchtbarkeit des Jüngsten Gerichtes, ich aber werde der letzte Richter sein und mein Gericht wird nicht nur Gerechtigkeit, sondern vor allem Gnade offenbaren. Gewiß wird auch mein Urteil gerecht sein, doch ich will nicht vergelten, sondern schenken. Ich kenne jeden, wie er ist, und werde ihm nach seiner Bedürftigkeit zuteilen.“

In dieser erhabenen Stimmung erwartet er, Gott werde ihn ausdrücklich zu neuer Heilstat an der Menschheit berufen. Er erwartet ein sichtbares und leuchtendes Zeichen, das ihm als dem ältesten Sohn, dem geliebten Erstgeborenen Gottes Zeugnis geben werde. Er wartet und nährt seine Selbstliebe durch das Bewußtsein seiner Tugenden und seiner übernatürlichen Gaben. Denn er war ja der Mensch ohne Tadel und der Inbegriff der Genialität.

So erwartet dieser stolze Gerechte die Anerkennung des Höchsten, um die Errettung der Menschheit zu beginnen. — Aber er wird des Wartens müde. Er ist schon dreißig Jahre, doch noch vergehen drei Jahre. Da durchzuckt ihn ein Gedanke wie ein Fieberschauer bis ins Mark der Knochen: „Aber wenn? … Wenn nicht ich es wäre, sondern der andere? … Der Galiläer? … Wenn er doch nicht mein Vorläufer wäre, sondern der Wahre, der Erste und der Letzte: … Aber dann müßt Er ja leben … Wo aber ist Er? … Könnte Er nicht zu mir kommen? … Gleich, hier? … Was würde ich zu Ihm sagen? Ich müßte mich vor ihm beugen wie der einfältigste Christ … Wie ein russischer Bauer ohne Verstand murmeln: ‚Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner Sünden‘, … oder ich müßte mich wie ein Polenweib mit ausgebreiteten Armen vor Ihm zu Boden werfen. – Ich, der erhabene Genius, ich, der Übermensch … Nein, niemals!“

Aus seinem Herzen erhebt sich das Entsetzen und verdrängt die einstige kalte und vernünftige Achtung vor Gott. Es wächst immer mehr an und schlägt endlich in verzehrenden Neid um, der ihn bedrückt und sein ganzes Wesen erfaßt. Ein wütender Haß flammt in ihm auf: „Ich, ich bin es – nicht Er! Er ist gar nicht mehr unter den Lebenden und niemals mehr wird Er unter ihnen weilen, nie ist Er auferstanden! Verwest ist Er, verfault im Grabe wie der letzte …“

(Fortsetzung folgt)

Die Serie

Triduum im tridentinischen Ritus

Das Hl. Triduum im tridentinischen* Ritus im Chor der Stiftskirche zu Neustadt 2012

Abendmahlsamt

am Gründonnerstag, den 5. April um 19:00 Uhr

Karfreitagsliturgie

am Karfreitag, den 6. April, um 15:00 Uhr

Osternachtsfeier

am Karsamstag, den 7. April, um 20:30 Uhr

 

Weitere Gottesdienste im tridentinischen Ritus in der Osterzeit:

Bereits am Palmsonntag, den 01. April:

  • um 10:00 Uhr Palmweihe und Prozession, feierliche Vortrag der Matthäus- Passion

Am Ostersonntag und Ostermontag feierliches Amt im tridentinischen Ritus jeweils um 10:00 Uhr

Chronologische Ansicht

Flyer

*: außerordentlicher römischer Ritus